Diesen Vortrag habe ich am 2. Oktober 2010 auf der Konferenz Openmind10 gehalten. Er versucht den Öffentlichkeitsbegriff in Bezug zu den digitalen Medien vollkommen neu zu definieren und aus diesen Prämissen eine kommende Informationsethik zu skizzieren.
Achtung: Dies ist nicht in erster Linie ein politischer Text, der sich als konkreter Forderungskatalog begreift, sondern ist eine Reflexion im luftleeren Raum, um die Ethiken in ihrem Idealzustand zu destillieren.
Als Sascha Lobo während der Streetview Diskussion den Begriff der „digitalen Öffentlichkeit“ aufbrachte, dachte ich: Was für ein Spin! Statt ständig gegen das subjektive empfundene Bedrohungsszenario des Privaten zu argumentieren, einfach mal die Sache umdrehen und einen positiven Begriff gegenüber stellen, der allen klar macht, was hier auf dem Spiel steht.
Und mehr noch: Die universelle Anwendbarkeit dieser Metapher im netzpolitischen Diskurs ist enorm weitreichend. Sperrige Begriffe wie Netzneutralität bekommen durch die Analogstellung mit dem öffentlichen Raum eine promenadenhafte Leichtigkeit. Und auch in der ewigen Filesharingdebatte scheint ein starker Begriff von „Öffentlichkeit“ und dessen formulierten Interesses genau die ethische-moralische – und emotionale (!) – Leerstelle zu besetzen, die den Urheberrechtsgegnern bislang gefehlt hat. (Sorry, Sascha)
Jedoch beschlich mich alsbald auch ein gewisses Unwohlsein mit dem Begriff, seiner Tradition und seiner bisweilen doch sehr unterschiedlichen Verwendung. Nicht, dass er als politischer Kampfbegriff unbrauchbar ist, aber philosophisch-semantisch liegt er unrund in der Hand. Martina Pickhardt ist dies als erstes aufgefallen, ich habe auch meine Zweifel geäußert. Der Begriff gehört auf den Prüfstand.
Hannah Arendt – das sollte man vorweg sagen – gebührt das Verdienst, den Menschen als erste als im Kern soziales Wesen gesehen zu haben. In der Vita Activa beschreibt sie dessen Conditio Humana als die eines per se pluralen Wesens. Der Mensch kommt nie allein und deswegen ist seine Beziehung zur Gruppe konstitutiv für das menschliche Sein.
Die Situation des menschlichen Zusammenseins – der Öffentlichkeit also – ist für Arendt die griechische Polis. Dort ist der Mensch – weit ab von allen Notwendigkeiten (der Ökonomie) und der Herrschaft, die beide im Reich des Privaten liegen – ein freier Mensch. Frei kann der Mensch nur unter Gleichen sein und so ist die Polis ohne jede Hierarchie. Zudem ist es der bewusste Akt der Überschreitung der Schwelle zur Öffentlichkeit, das das öffentliche, freie und darin vor allem das politische Subjekt ausmacht.
Dem entgegen hält Arendt die heute (seit der Neuzeit) vorherrschende „Gesellschaft„. Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Notwendige, also die Ökonomie, in den Bereich des Öffentlichen gerückt habe. Dadurch seien die Sphären durchmischt und kein Mensch mehr frei. Statt des freien Individuums herrscht der konformistische Massenmensch vor und statt dass er sich wie die Menschen in der Polis mit Seinesgleichen misst, misst er sich nur noch am statistischen Durchschnitt. Überhaupt findet Arendt ja die Statistik furchtbar schlimm und als Geißel der Zeit.
Ohne ihrer Analyse widersprechen zu wollen, sehe ich die Ursachen der Massengesellschaft durchaus woanders. Schon unser heutiger Begriff von Öffentlichkeit deutet auf einen anderen Schuldigen hin: die Massenmedien.
Wenn wir heute von Öffentlichkeit reden, dann meinen wir das medial Öffentliche. Das was eben mehr oder weniger öffentlich sein kann und dessen Öffentlichkeit sich an so Dingen wie Auflage, Quote oder Klickzahlen misst. Die Öffentlichkeit der Massenmedien – also die großen Sender von Informationen ohne Rückkanal – haben längst die Öffentlichkeit der Orte – der Polis wie die der Marktplätze – als die relevante Öffentlichkeit abgelöst.
Niklas Luhmann schrieb im ersten Satz seines Werks „Die Realität der Massenmedien“: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.„. Sodann begann er die Massenmedien als Funktionssystem der Gesellschaft zu beschreiben, das keine andere Aufgabe hat, als dessen Selbstbeobachtung zu gewährleisten. Dabei betont Luhmann, dass diese Aufgabe eben nicht darin bestünde, ein möglichst wahrheitsgetreues Bild der Gesellschaft zu zeichnen, sondern einfach nur ein anschlussfähiges. Eines das wieder zurück injiziert wird in die Gesellschaft und das anschlussfähig sein muss, um die Kommunikation der Gesellschaft über die Gesellschaft am laufen zu halten. Denn bei Luhmann ist Gesellschaft eben das: ein Diskurs über sich selbst.
Das das Bild der Gesellschaft, dass ihr da von den Medien Tag ein Tag aus eingetrichtert wird, gar nicht wahrheitsgemäß sein kann, ist bereits klar, wenn man die begrenzten Mittel betrachtet, die ihnen zur Verfügung stehen. Da wabert ein riesiger, komplexer, amorpher und durch und durch heterogener Schlamm von Menschenmassen vor sich hin und dann soll das ganze durch eine Handvoll Kameras festgehalten werden? Wie wir wissen, ist das unmöglich und so kommt in den Massenmedien nur das, was vermeintlich alle – zumindest aber die meisten – interessiert, vor. Und genau deswegen ist das Bild der Gesellschaft von sich selbst eben das einer „Gesellschaft“ im arendtschen Sinn: eines homogenen Gesellschaftskorpus, der „denkt“, „fühlt“ und eine bestimmte Musikrichtung „mag“ – so im statistischen Durchschnitt. Und neben dem Mainstream wurde eben auch dieses merkwürdige Gespenst der öffentlichen Meinung geboren, das seitdem für allerlei Moralismen hergezogen wird – als normative Self fullfilling Prophecy. Das alles nur weil sich die Menschen tatsächlich durch das verzerrte Bild ihrer Selbst im Nadelöhr der Massenmedien zwangsvergemeinschaften ließen, in eine Gruppe, dessen unscharfes Bild sie in der Zeitung sahen und das sie wahlweise „Gesellschaft“ oder „Staat“ oder eben „Öffentlichkeit“ nannten. (Es ließen sich an dieser Stelle Untersuchungen auf den Einfluss dieses medialen Selbstbildes auf die sonstigen – auch politischen – Organisationsstrukturen der Menschen anschließen: „Staat“ und auch die „repräsentative Demokratie“ (Wählerwille) sind folgerichtige Institutionen, die eng an die Evolution der Massenmedien gekoppelt sind.)
Und auf einmal kommt das Internet. Es kommt, dann sticht es Millionen Löcher in diesen medialen Gesellschaftsluftballon und die Gatekeeper an den Nadelöhren rufen warnend, dass doch die Illusion von Einigkeit zugrunde gehen könne und dass sie jetzt dringend ein Leistungschutzgeld kassieren müssen, wenn nicht morgen die Demokratie im Eimer sein soll. Ja, die Nadelöhre verlieren an Bedeutung, wenn jeder ein Sender sein kann und die Leute sich wieder untereinander austauschen. Es ist interessant zu beobachten, wie „die Gruppe“ als Konzept zerfällt in Netzwerken, in denen Menschen wieder auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Die Masse scheint überwunden und die Kommunikation wieder hierarchiefrei. War die Massengesellschaft also nur ein böser Traum?
Erleben wir also die Wiederauferstehung der Polis?
Nein! Und da sind wir endlich angelangt beim Kontrollverlust. Der nämlich macht das alles eine Nummer komplizierter.
Weil sich die Ordnungsmacht in den digitalen Medien von der Senderseite auf die Seite der Empfängter geschlagen hat und deswegen unsere 10.000 Jahre alten Konzepte der Organisationsstrukturen von Kommunikation auf den Kopf stellt, verschiebt sich auch das, was wir vormals Öffentlichkeit nannten ganz erheblich.
Die relationale Datenbank, die mit Hilfe von komplexer Abfragealgorithmen über jegliche Ordnung des Diskurses hinwegfegt, um über alle nur denkbaren Verknüpfungen in Echtzeit zu neuen Ordnungsstrukturen zu gelangen, ist die Blaupause dessen, was den Kontrollverlust ausmacht. Wichtig ist nicht mehr, wo jemand eine Information plaziert, wichtig ist, wann und wer und unter Einbeziehung welcher Faktoren diese abfragt.
Wir müssen die Öffentlichkeit von Query her denken.
Ein Beispiel: Neulich veröffentlichte jemand in seinem Blog die Vermutung, dass mein Artikel zu Stuttgart 21 ja doch von Ministerpräsident Mappus bezahlt sein müsse. Ich finde das ulkig und die drei Freunde, die sein Blog lesen, wahrscheinlich auch. Und in der Logik der alten Medien wäre eben das schon die Öffentlichkeit dieser Information gewesen. Aber heute wird dieses Posting jeder finden, der bei Google nach meinem Namen sucht (in meinem speziellen Fall allerdings recht weit hinten, bei anderen Leuten wäre das ärgerlicher) – also ein spezielles Interesse an meiner Person hat. Ein Interesse, dass sich in der Eingabe meines Namens in dem Suchfeld von Google ausdrückt und somit Öffentlichkeit jenseits eines klassischen Begriffs von Reichweite herstellt. Und damit dem Sender wegnimmt.
Wir müssen die Öffentlichkeit von der Googlesuche her denken.
Als weiteres Beispiel sei hier Twitter erwähnt. Mit dem Followingprinzip stellt man sich seine „Query“ zusammen, die durchaus sehr komplex – vor allem aber sehr individuell ist. Aus der Liste der Follower wird die Timeline generiert, die eine Wirklichkeit zusammenschraubt, die einzig und alleine von meinen Followingentscheidungen bestimmt ist. Die Realitätskonfiguration, der so eine Timeline dann entspricht, habe ich mal „Distributed Reality“ genannt. Ein System, in dem der eine Follower der Follower des anderen ist und so ein Filtersystem mit Filtern von Filtern von Filtern eine in die Tiefe ungeahnte Komplexität erreicht. Eine Maschine, die es fertig bringt, mir alle relevanten Informationen der Welt zusammenzutragen. Relevant für mich, wohl gemerkt. Ich – als Empfänger, als Abfrager, als Query – der wie eine Spinne im Zentrum des eigenen Informationsnetzwerkes sitzt und sich seine Informationen „pullt“.
Wir müssen die Öffentlichkeit vom Follower her denken.
Zwei Dinge fallen auf:
1. Öffentlichkeit ist Privatsache. So paradox es sich anhört, aber die neue Öffentlich ist das autonomste, eigenste und privateste, was man sich nur vorstellen kann. Auf dem 26c3 wurde auf einem Podium die Wahrheit ausgesprochen: „Zu niemandem ist man ehrlicher, als zu seiner Suchmaschine.“
2. Eine Asymmetrie des Unbekannten. In dieser Privatheit ist die Query auf radikale Weise anonym. Sie ist es nicht notwendigenfalls und sie ist es nicht per se. Aber in der Unendlichkeit ihrer Möglichkeiten entzieht sie sich unseres Zugriffs, ja, sogar unserer Vorstellungskraft. Wir können nicht abschätzen, wie wir abgefragt werden, welche Kriterien dabei eine Rolle spielen, welche anderen Datensätze daran geknüpft werden und wie und in welchem Kontext dann diese Information erscheint. Das alles, was ich Kontrollverlust genannt habe und das Ausdruck eben dieser Asymmetrie ist: eines ewigen Nichtwissenkönnens und eines Nichtvorbereitet seins auf die Query, die da kommen wird.
Der größte Experte des radikal unbekannten ist bekanntermaßen Levinas. Ähnlich, wie Hannah Arendt hat er den Menschen von Anfang an und a priori als soziales Wesen definiert. Noch radikaler als Arendt hat er dieses Soziale gedacht. Wo bei Arendt der Bezug zur Gemeinschaft das politische Handeln des Menschen ist, ist bei Levinas der Platz der Ethik – und zwar im Bezug zum Anderen.
Der Andere ist ein Konzept, dass den Bezug zur Gemeinschaft wieder herunter bricht zu einem Gegenüber. Es personalisiert das Soziale zum eigentlichen Grundbaustein: das Verhältnis und die Verantwortung zum Anderen.
Gleichzeitig bleibt der Andere eine abstrakte Kategorie des Unbekannten, des Nicht-besitzbaren, des Nicht-wissbaren. Damit ist es strukturanalog mit dem, was wir vorhin die Query genannt haben. Der Andere bei Levinas ist immer der ganz Andere und sprengt so per se jede Vorstellung, die wir von ihm haben. Es ist diese Asymmetrie, die bei Levinas die Ethik überhaupt begründet.
Und diese Asymmetrie gilt es bei Levinas nicht nur auszuhalten, sondern sie bürdet uns zudem eine Verantwortung auf. Ver-Antwortung, das Gebot des Antwortens, auf den Anderen. Auf die Query des Anderen, wie ich ergänzen möchte.
Der monolithische Öffentlichkeitsbegriff ist Geschichte. Die neue Öffentlichkeit ist der Andere. Wir können uns also diese Öffentlichkeit – wie sie im Internet existiert – gar nicht vorstellen. Und wenn wir es versuchen, liegen wir falsch – per se und per definitionem. So falsch, wie die Wikipedianer, wenn sie festlegen wollen, welche Information „relevant“ ist und alles andere löschen. So falsch wie diejenigen, die den Rundfunkstaatsvertrag machen und meinen, bestimmen zu können, wie lange Inhalte vorgehalten werden sollten. So falsch wie der, der seine Hausfassade verpixelt, weil er glaubt, dass er dem Anderen den Zugriff auf diese Daten verwehren darf, weil er zu wissen glaubt, was dieser damit vorhat. In all diesen Fällen wird sich nicht eben an einer allgemeinen Öffentlichkeit vergangen, die in der Tat Dinge in die allgemeine Relevanz erhebt, oder nicht. Nein, hier wird für den Anderen entschieden und zwar ohne Kenntnis seines Interesses, seiner Filter und seiner Kompetenz.
Das radikale Recht des Anderen ist die Souveränität beim Filtern.
Ein paar Beispiele für Implikationen, die sich aus dieser asymmetrischen Ethik ergeben:
1. Vorauswahl von Information ist ein Eingriff in die Filtersouveränität des Anderen. Alles, was wir Informationen unzugänglich machen (z.B. durch Netzsperren), sei es, indem wir Dinge nicht publizieren, indem wir Dinge zurückziehen, indem wir Informationen löschen, schränkt die Filterfreiheit des Anderen ein. Wir haben dazu kein Recht.
Denn 2.: Es ist es das radikale Recht des Anderen zu beurteilen, was Information ist und was nicht. Wir besitzen nicht die Kriterien und im Zweifel gar nicht die technologischen Voraussetzungen, um zu beurteilen, wie und in welcher Weise bestimmte Daten nützlich sein werden. Das entscheiden zu wollen ist zu jeder Zeit eine Anmaßung.
Und 3. gibt es keine „böse“ oder „gute“ Information. Niemand hat dies zu beurteilen, niemand hat ein Recht dazu, denn auch hier gilt, dass das einzig und allein die Aufgabe des Anderen ist, zu entscheiden. Auch und vor allem – wie die Modi seiner Reaktion auf „gute“ oder „böse“ Information ist. Im Zweifel braucht der Andere nämlich „böse“ Information, um andere „böse“ Information filtern zu können.
Das bedeutet im Umkehrschluss 4., dass innerhalb unserer Informationsethik ein Mehr an Information immer wünschenswert ist. Egal, wie böse oder irrelevant sie uns auch im Einzelfall erscheinen mag. Im Zweifel wird der Andere mit ihrer Hilfe Krebs heilen – wer kann das schon sagen? Wir haben keine Möglichkeit das abzusehen oder auszuschließen. Mit anderen Worten: Wer Informationen von sich preisgibt, abrufbar macht – egal ob es sich um sogenanntes „geistiges Eigentum“ handelt oder um private Daten – der handelt ethisch.
Was in der Forderung 5. endet: Alle Schleusen auf! Alle Gesetze, Verordnungen und moralischen Schranken, die der Filtersouveränität im Weg stehen, müssen beseitigt werden. Egal ob Urheberrecht, ein zu krasses Verständnis von Datenschutz, Persönlichkeitsrechte sofern sie sich auf Informationen Beziehen, müssen fallen. Sie schränken die freie Konfigurierbarkeit der Filter des Anderen ein.
Die Filtersouveränität des Anderen ist das neue „Interesse der Öffentlichkeit„. Während die Interessen der Öffentlichkeit mit denen der Privatleute mehr schlecht als recht abgeglichen werden mussten, funktioniert das beim Anderen nicht mehr. Sein Interesse bleibt verborgen und sein Nutzen an Informationen ist grundsätzlich nicht einschätzbar. Und genau deswegen überwiegt es. Denn übermorgen wird sein Nutzen an den Daten von Heute größer sein als morgen. Wir sitzen auf dem Schatz eines zukünftigen Anderen. Ihn mutwillig zu zerstören ist purer Egoismus.
(Einer der besten Texte zur Diskussion um Streetview hat Fritten.cc geschrieben. Er hat es geschafft, Streetview und dessen Nutzen vom Anderen her zu denken, indem er selbst in diese Rolle geschlüpft ist. Als er die alten Fotos aus Familienbeständen aus seinem Heimatdorf gegen die Fotos aus der Jetztzeit montierte, bekam er eine leise Ahnung vom radikalen Recht des Anderen.)
Nun kann man zurecht fragen, ob es das schon war, mit der Ethik des Anderen. Nein, noch lange nicht. Die implizite Struktur der asymmetrischen Ausgeliefertheit an den Anderen bedingt – nicht nur bei Levinas – einen durchaus kommunikativen Kanal zum Anderen. Ich nenne ihn den „ethischen Kanal“.
Die Überlegung ist einfach: wenn ich Teil einer Distributed Reality des Anderen bin, dann ist alles, was ich tue und sage, auch ein Statement. Dann ist alles ein Appell an den Anderen, dann bekommt all mein Handeln eine ethische, normative Dimension. Und dieser Appell an den Anderen ist die Ethik einer Ethik. Es ist der Imperativ doch bitte eine Ethik auszubilden, oder einer zu folgen, wenn nicht meiner, so doch einer anderen, denn der Appell der Filtersouveränität besagt: Entscheide!
Dies wäre der erste Appell: Entscheide! Es ist ein Appell an die Freiheit. Entscheide, wie du filtern willst, entscheide, welches Bild du dem Anderen gegenüber darstellen willst. Drucks nicht rum, sondern entscheide, damit auch der Andere entscheiden kann, ob er deiner Ethik folgt. Die Kriterien deines Lebens sind nämlich die Filterkriterien des Anderen. Bilde deine Ethik also frei von Zwängen aus.
Der zweite Appell schließt daran an: Appelliere! Appelliere, denn dein Entscheiden nützt nicht nur als Filterkriterium, sondern auch als normativer Einfluss in der Welt. Deine Entscheidung macht die Realität des Anderen (sofern er das zulässt), reflektiert Gemeinschaft und beeinflusst Weltbilder. In jeder Entscheidung appellierst du, also Appelliere.
(Wer hier eine Rekursion findet, darf sie behalten.)
Und als letztes, eine grobe, utopische Skizze, wohin das alles führen würde:
Zu einer „Gesellschaft“ (kann man das noch so sagen?) des Gebots. Meine Freiheit endet eben informationell nicht mehr an dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Nein, meine und seine Freiheit sind unendlich. Verbote braucht es nicht mehr, denn so lange meine Filtersouveränität nicht eingeschränkt wird, schränkt der Andere nicht meine Freiheit ein. Seine Freiheit stärkt meine Freiheit, denn sie liefert mir im Zweifel die Kriterien für meine Filter, ihn auszublenden.
Eine radikal segmentierte Gesellschaft wäre natürlich das Endprodukt. Davor wurde bereits viel gewarnt, ich jedoch ziehe eine radikal segmentierte Gesellschaft einer konformistischen Massengesellschaft vor. Vor allem weil es ja eben keine in sich abgeschlossenen Subkulturen sind, sondern offene Netzwerke, die sich diffus überlappen. (Wir haben noch kein Denken (und keine Metaphern) für solcherlei Strukturen gefunden, denn unsere Ordnungstechniken erlauben uns nur in Behältnissen zu denken. Deswegen sind „Parallelgesellschaft“ und „Echoraum“ die falschen Metaphern und suggerieren die falschen Schlüsse. Nichts ist offener als ein Netzwerk. Aber: In einem Netzwerk gibt es keine objektive, holistisch-richtige Perspektive, sondern nur die des Anderen.)
Danke!
Mein Vortrag ist bereits auch schon online abzurufen. Zur Qualität (Vor allem zur Tonqualität) kann ich derzeit keine Aussage machen, denn ich sitze hier ohne echtes Internet und habe es mir noch nicht angesehen.
Dazu gibt es hier ein Videointerview zum selben Thema im Anschluss des Vortrags.
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