Bereits im Jahr 2000 konstatierte Lawrence Lessig „Code is Law„. Und obwohl das alles so furchtbar lange her ist und obwohl das schon so breit diskutiert wurde, habe ich den Eindruck, dass wir gerade erst anfangen zu verstehen, was das bedeutet. Dazu ein paar aktuelle Beispiele:
Wie es mit dem Datenschutz bei intelligenten SmartMeter-Strommessgeräten aussähe, fragte gestern der Moderator Ole Reißmann die anwesende Miriam Pfändler. Für den Datenschutz sei gesorgt, versucht sie zu beruhigen. Schließlich habe man ja die Chance gehabt, diese Technologie neu zu designen und alles Wissen über Datenschutz bereits einfließen lassen. Christian Heller entgegnete, dass das ja nur so lange funktioniert, wie die Firmware nicht ausgetauscht wird, gegen beispielsweise eine selbstgehackte oder eine Opensourcesoftware und solange es einen zu adressierendes Unternehmen mit Sitz in Deutschland gibt, dass diese herstellt und nicht irgendein Hacker irgendwo auf der Welt. „Privacy by Design“-Hardware müsste proprietär sein und sich massiv gegen das Aufspielen fremder Software schützen. Privacy-Code is Law, es ist verboten ihn zu überschreiben!
Alle regen sich derzeit über Apple auf. Die Trackingdaten der Geolocation seien unverschlüsselt und für jeden zugänglich auf dem Telefon (und per Backup auf dem Rechner) gespeichert, zetern Datenschützer. Schon vor Monaten wurde bekannt, dass Apple diese Daten sammelt, um seine Ortungsfunktionsdatenbank zu verbessern – die Entrüstung war damals nur von kurzer Dauer. Das ist diesmal anders. Und Apple reagiert. Es will zwar nicht aufhören, die Daten zu sammeln, aber dennoch anfangen, sie zu schützen – vor uns. Privacy-Code is Law, denn du bist die Gefahr.
Und weil wir die Gefahr sind, regen wir uns über Facebook auf. Der Anspruch an Facebook, doch bitte umfangreiche Kontrollmöglichkeiten für Privatsphäreneinstellungen seiner Nutzer bereitzustellen, versetzt Facebook in eine Position, die in etwa derjenigen gleicht, die Thomas Hobbes für den Staat vorhergesehen hat. Weil der Mensch dem Menschen ein Privatsphäreneindringlingswolf ist, wendet man sich an den zentralen Privacy-Leviathan Facebook, dass er mit seinem Zugangs(-gewalt-)monopol die virtuellen Grenzen und Wände der Menschen untereinander durchsetzt. Die Privacyoptionen versetzen also Facebook in die staatsähnliche Position – aber eben im Gegensatz zum Staat nicht durch Gesetze, sondern durch Code. Alle haben sich um so mehr dem Regime von Facebook zu unterwerfen, je mehr sie auf dessen Datenschutzstrukturen angewiesen sind. Privacy-Code is Law und empowert den Facebookstaat!
Das Problem: Unser Denken ist noch von den Strukturen der Geopolitik geprägt. Wir denken Macht als Ort, als Burg und Besitz. Deswegen regen sich Datenschützer auch auf, wenn private Daten in anderen Ländern gespeichert werden. Der Ort, an dem die Daten liegen, ist aber zunehmend egal. Es geht schon lange nicht mehr darum, wer welche Daten auf welcher Festplatte gespeichert hat und zunehmend auch nicht, welche Datengesetze dort herrschen. Die sind im Falle des Falles eh Makulatur.
Es geht darum, wer den Zugang zu den Daten kontrolliert. Die Macht von Facebook, Google und Co speist sich – anders als Frank Rieger, Constanze Kurz und andere glauben – eben nicht daraus, dass sie Daten über uns gespeichert haben, sondern dass wir davon abhängig sind, ihre Infrastruktur zum Schutz unserer Daten zu nutzen.
Wenn Code Law ist, dann konstituiert Privacy-Code Macht. Der Kontrollverlust ist langfristig der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Durch ihre Kopierbarkeit sind die Daten, solange sie offen zugänglich sind, nicht an die Ordnungsmacht eines Leviathan gebunden. Weil Twitter mich nicht an meine alten Tweets lässt, backuppe ich all meine Tweets bei Buzz und auf meinem eigenen Server. Twitter hat keine Macht über meine Daten. Nicht weil sie das bessere Privacykonzept haben, sondern im Gegenteil.
Es entwickelt sich derzeit eine neue Machtasymmetrie, die niemand richtig im Blick hat, weil wir in Sachen Daten noch zu sehr im Sinne von Besitz und Ort – unserer alten geopolitischen Ordnung – denken, anstatt zu verstehen, dass sich alles zunehmend um Zugang und dessen Regulierung dreht. Es geht im Moment darum, dass sich Konzerne und ihre Plattformen als neue Ordnungsmächte im Digitalen etablieren (als Ablösung für den Staat) und die Datenschützer sind ihre eifrigsten Helfer.
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