Als sich überall auf der Welt die Hashtagrevolutionen und -Proteste häuften und die Welt – vernetzt durch die neuen Medien – immer mehr in Aufruhr geriet, fragte ich mich, wann es wohl in Deutschland so weit sein würde und wie das dann aussieht. Dass es so hässlich werden würde, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.
… Nein. Zu dramatisch.
Wenn man die Leute fragt, welches soziale Problem durch das Internet ausgelöst/verschärft oder sonstwie befördert wird, würden viele bis heute sagen: Datenschutz/der Verlust der Privatsphäre. Insbesondere in der Netzszene ist immer noch die Angst verbreitet, das Individuum würde durch die Überwachunsgmöglichkeiten der digitalen Technologien gegenüber den Institutionen untergebuttert werden. Dabei ist augenscheinlich das Gegenteil der Fall. Das Individuum und die Zivilgesellschaft haben durch die digitale Technologie eine neue, ungeheure Macht bekommen, die sich längst nicht mehr nur positiv auswirkt.
… Nein, viel zu abstrakt.
Heute, an der Schwelle zum Jahr 2015 ist es 10 Jahre her, dass ich das Bloggen für mich mich entdeckte. Erst noch lesend, ab Juni 2005 mit eigenem Blog. Bloggen war für mich immer die wahrgewordene Utopie der Publizistik: Jede/r, immer, alles. Alle Barrieren des Publizierens waren gefallen. Ihr wisst schon: Brechts Radiotheorie und so weiter.
Der erste Blogtext, den ich las, war tatsächlich der Jamba-Kurs von Johnny Haeusler, dessen Entstehung er gerade erst hier beschrieben hat. Und so prägte dieser Text auch nachhaltig mein ganzes Verständnis vom Bloggen. Da ist zunächst einmal das Suchen nach neuen Formen, einer neuen Sprache abseits der ausgetretenen, journalistischen Pfade. Da ist die persönliche Perspektive, die ehrliche und authentische Subjektivität, die nicht vorgibt, objektiv über einen Sachverhalt zu sprechen. Und natürlich ist da die Kritik. Bloggen war – seit ich denken kann – immer auch Kritik. Kritik an Geschäftspraktiken, Kritik an Haltungen, Aussagen und Handlungen. Kritik an der Politik, der Gesellschaft, dem Weltgeschehen und natürlich: an den Medien.
Bloggen war auch immer Medienkritik. Die „Medien“, die großen Brüder und Schwestern der Blogs waren immer … nicht Feindbild, aber Reibungsfläche. Wenn man als Blogger einer Zeitung einen Fehler nachweisen konnte, hatte man seine Existenzberechtigung bereits bewiesen. Blogs sind und waren oft dafür gut unsachliche, dumme, rassistische oder sonstwie zu kritisierende Kommentare in den klassischen Medien pointiert auseinandernehmen. Wir sprachen leicht verächtlich von den „Mainstream-Medien“ und wir Blogger waren stolz auf unsere Underdog-Rolle als Gegenöffentlichkeit. Wir glaubten, dass wir die Medien und damit die Welt ein Stück weit besser machen, ein Korrektiv sein zu können. Bildblog war folgerichtig das Vorzeige-Blog, Stefan Niggemeier unser Held.
Das alles ist jetzt nicht von Heute auf Morgen falsch geworden. Aber Utopien skalieren leider nicht. Wenn ich heute die Berichterstattung über die Montagsdemonstrationen sehe, wenn ich die Facebook-Seiten und Blogs von PeGiDa-Anhängern betrachte, ist es, als würde mir meine einstige Utopie um die Ohren geschlagen. Von den „Systemmedien“ und „Lügenpresse“ ist da die rede, die uns alle verdummen und verarschen. Die sind nämlich alle „gleichgeschaltet“ und es wird das Netz abgefeiert, weil sich hier eben eine Gegenöffentlichkeit zur „Volksverdummung“ gebildet hat. Ja, sie sind brachialer in der Wortwahl, ja, sie sind undifferenzierter und verwechseln Verschwörungstheorie mit Kritik, aber von der Stoßrichtung her ist es dieselbe Haltung, die wir damals hatten. Sie sind unser hässliches Spiegelbild. Sie sind unsere dystopische Variante.
Jede/r kann heute publizieren. Der Traum ist wahr geworden – auch in der Breite. Und er ermöglicht es, dass heute zu jeder alternativen Wahrheit ein ganzes Ökosystem aus Medien entstehen kann. Jede Meinung und alternative Wahrheit hat nicht nur Platz, sondern sie können sich einen Resonanzraum schaffen, in dem sie sich stabilisieren, entfalten und wachsen können.
Mein Buch basiert auf der These, dass sich das Paradigma der Medien weg von der Ordnung des Senders/Schreibers/Archivars hin zu der Ordnung des Abfragenden verändert. In einer Welt, in der jede/r alles schreiben kann, es aber nur begrenzte Aufmerksamkeitsressourcen gibt, werden die Filtermechanismen – die Querys – der Empfänger zum entscheidenden ordnungsgebenden Faktor für die Ordnung des Wissens.
Ich hielt das lange Zeit ohne Einschränkung für eine gute Sache. Die Gefahr, die darin lag – vor allem in diesem Land – wollte ich sehen. Ich träumte wahrscheinlich zu sehr den Traum der Aufklärung, von dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments, von Evidenz durch Fakten und Transparenz, etc.
Doch die Resonanzräume ermöglichen sowohl Vernetzung als auch Abschottung. Hermetische Weltbilder, die Evidenz durch zirkuläres zitieren und den ausschließlich negativen Bezug auf die mediale Außenwelt bezieht: „Sie wollen uns als Verschwörungstheoretiker verunglimpfen, also muss es wahr sein!“ Wissen ist nichts anderes als ein hinreichend dichtes Netz aus Informationen, schreibe ich in meinem Buch. Unter guten Vernetzungsvoraussetzung kann also alles zum Wissen werden – zur Wahrheit – zumindest aus einer bestimmten Query heraus gesehen.
Das Resultat sehen wir heute: Die Verschwörungstheoretiker äußern ihre Wahrheiten nicht mehr hinter vorgehaltener Hand. Die Ressentiments gegen Fremde (oder die, die als Fremd empfunden werden), werden nicht mehr geflüstert oder verbleiben am Stammtisch. Die Vernetzung mit Gleichdenkenden gibt Kraft, Solidarität und Mut – was für den arabischen Frühling und bei #Aufschrei funktionierte, funktioniert gleichermaßen für #PeGiDa.
Doch während #jan21 Mut machte gegen einen Diktator auf die Straße zu gehen und #Aufschrei ein den Alltagssexismus sichtbar machte, zersetzt #PeGiDa das Tabu der Fremdenfeindlichkeit. Die Rassisten und Verschwörungstheoretiker marschieren heute laut und stolz durch die Straßen. Zu Zehntausenden. Sie fühlen sicher, denn sie wissen, dass sie nicht alleine sind.
Mit dem Unwirksamwerden des Tabus ist ein wichtiger, gesellschaftlicher Regelungsmechanismus verloren gegangen: die Ausgrenzung. Wir können diese Menschen nicht mehr sozial sanktionieren, denn sie sind nicht mehr in Reichweite unseres Diskurses. Unser Schimpfen verhallt im Nichts – es bestätigt aus ihrer Sicht sogar ihre kruden Thesen.
Auch wird kritisiert, dass jetzt einige versuchen die Ausgrenzung auf Follower-/Facebook-Friendship-Ebene dennoch durchzusetzen. Wahrscheinlich ist die Wirksamkeit dieses Unterfangens tatsächlich gering. Doch was sollen wir sonst tun? Mit Nazis zu diskutieren bringt genau so wenig. (Auch diese Vorstellung sitzt der aufklärerischen Naivität auf, dass Rassismus aus einem Mangel an Informationen entsteht und ihm argumentativ beizukommen ist.)
Was tun wir also jetzt? Ich bin ganz ehrlich sehr ratlos. Ich bin mir nur um so sicherer, dass von der Befreiung der Wahrheit von den Fesseln ihrer Gatekeepern sowohl die größte Chance, als auch die größte Gefahr des Kontrollverlusts ausgeht.
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