open!: The Kontrollverlust of the Nation-State and the Rise of the Platforms

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In letzter Zeit bekomme ich vermehrt Anfragen für Texte auf Englisch. Das macht mir zwar mehr Mühe, da ich nicht so erfahren bin, in dieser Sprache zu schreiben. Aber ich denke, es lohnt sich allein des anderen Leserkreises wegen. Hier ein Text, den ich für die Plattform „open!“ geschrieben habe. Es geht nur am Anfang einführend um den Kontrollverlust, der Hauptteil des Textes setzt sich mit der Politik von Plattformen auseinander. Eine kürzere Version einiger der Gedanken und Beispielen aus dem Text kann man auch auf Deutsch bei der Zeitschrift „Kunst und Kommerz“ des deutschen Kulturrates nachlesen. (Hier das PDF)
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The Kontrollverlust of the Nation-State and the Rise of the Platforms

Since Wikileaks revealed large amounts of US intelligence to the public in 2010, most people are now more aware of the vulnerability of the nation-state: that it must keep it’s secrets safe in order to function. (At least, this is what the nation-state believes.) But as technology evolves, it seems less and less able to do so.

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Plattformprivacy

Es wird immer offenbarer, dass die Antwort der Gesellschaft auf den Kontrollverlust die zentral gesteuerten Plattformen sind. Auffällig wurde dies spätestens seit Apple der Musikindustrie mit iTunes den Allerwertesten rettete und es wurde am deutlichsten, als Google mit ContentID einen Weg für Verwerter anbot, wie sie die unkontrollierbaren User-Uploads für sich vergolden konnten. Aber auch bei der Privatsphäre hat sich ähnliches ereignet. Aller Unkenrufe zum Trotz hat Facebook die Privatsphäre einfach als Privacy-Setting neu erfunden und in den geschlossenen Welten von WhatsApp und Snapchat werden ebenfalls ganz neue Formen von Privatheit erprobt.

Die alte Vorstellung von Privatsphäre wird dabei natürlich ebenso über Bord geworfen („Informationelle Selbstbestimmung“, haha!), wie die alte Vertriebskanäle von Radio bis Plattenladen. Auf den Plattformen rüttelt sich etwas zurecht, das auf einer anderen Komplexitätsstufe dem Alten (Privatsphäre, Erlösmodelle) nah genug kommt, damit sich die Leute damit zufrieden geben.

Eine besonders aufschlussreiche Blüte dieser Kontroll-Transition hin zu den Plattformen treibt derzeit im Journalismus. Facebook hat den Verlagen ein Angebot gemacht und viele springen auf. Sie sollen ihre Artikel im Volltext bei Facebook zum syndizieren abliefern und können dann an der Werbung mitverdienen und bekommen detaillierte Daten über ihre Leser.

Auf ein solches Angebot einzugehen könnte direkt aus den Strategien entlehnt sein, die ich in meinem Buch vorstelle. Die Kontrolle über die Inhalte auszuüben ist eh viel zu aufwändig und in letzter Konsequenz quasi unmöglich, also lieber auf antifragile Strategien setzen und den Content möglichst breit streuen und daraus den Nutzen ziehen.

Ich hätte allerdings argumentiert, dass das doch schon längst per RSS machbar ist und von den Verlagen nur schon seit langer Zeit boykottiert wird (zumindest Fullfeeds). Und hier ist der Punkt: Wir waren doch schon mal viel weiter. Mit RSS und co. hatten wir einen Standard, der es erlaubte Artikelinhalte in einem generischen Format in alle möglichen Veröffentlichungssitationen zu integrieren. Ich schreibe in Vergangenheitsform. Natürlich gibt es RSS noch, aber es hat sich nicht breit durchgesetzt und Facebook und andere Plattformen treten nun mit ihren eigenen Tools an diese Stelle.

Statt dass Inhalte frei und für jeden syndizierbar und weiterverwertbar angeboten werden, werden sie lieber den proprietären (und undurchschaubaren) Anzeigetechnologien der geschlossenen Datensilos in den Rachen geworfen.

Und hier drängt sich ein Vergleich mit der Post-Privacy auf: RSS entspricht so ziemlich dem, was Christian Heller (und in Folge auch ich und einige andere) sich als Post-Privacy vorgestellt haben. Gibt die Daten frei, dann können alle partizipieren. Datenmonopole zu beseitigen wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer egalitäreren Machtverteilung in der Gesellschaft. Bekommen haben wir aber stattdessen Plattformprivacy.

Plattformprivacy ist nach oben offen (Facebook, Staat, Geheimdienste) und zu den Seiten geschlossen (Privacysettings). Das reicht den meisten Menschen, denn im Gegensatz zur Datenschützer-Szene war für sie Privacy nie ein Selbstzweck, sondern immer Tool zur alltäglichen Lebensführung. Deswegen war die Privatsphäre gegenüber der eigenen Mutter schon immer wesentlich wichtiger, als die gegenüber der NSA. Plattformprivacy ist die Zukunft der Privatsphäre und gleichzeitig eine Datenmonopolisierung weit größeren Ausmaßes, als wir es uns haben vorstellen können.

Das kann man enttäuschend finden und zwar auf allen Seiten: der Datenschützer/innen-Seite genauso wie auf der Post-Privacy-Seite. Aber es ist nun mal die Realität. Zumindest vorerst.

Das ist auch das Fazit meines Buches: Wir sind noch nicht so weit. Unser Wunsch nach Kontrolle verhindert eine freie Gesellschaft und einen emanzipativen Umgang mit den digitalen Technologien. Stattdessen haben wir uns neue Regime geschaffen, die uns vermutlich noch eine ganze weile voreinander „beschützen“ werden.

Ich kann bei all den aufkommenden strukturellen Problemen der Netzgesellschaft kaum etwas dagegen sagen. Kontrolle wird gebraucht. Doch wo Kontrolle herrscht, braucht es Politik. Und das ist jetzt unsere Aufgabe: Plattformpolitik.


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Was ist eine Plattform? – Ein Neuanfang

Vor ein paar Tagen habe ich zusammen mit Sebastian Gießmann auf der re:publica einen Talk gehalten. Der Titel war „Von der Netzwerk- zur PLattformgesellschaft„. Neben vielen neuen Gedanken zu Plattformen und ihrer Rolle in unserer Gesellschaft habe ich mich auch an einer neuen Plattformdefinition versucht, die aber in der Kürze der Zeit etwas unterbelichtet blieb. Eine genauere Definition plus Erklärung will ich hier nachliefern. Aber ersteinmal der Talk:

Selektion(-Entscheidung/-Option/-Prozess)
Selektion bedeutet schlicht: so und nicht anders. Aus einem Raum an Möglichkeiten (Kontingenz) wird sich auf eine der Möglichkeiten (Selektionsoption) festgelegt (Selektionsentscheidung). Akkumulierte Selektionsentscheidungen können die anschließenden Selektionsoptionen so weit eingrenzen, dass wir von einem definierten Selektionsprozess (oder Schnittstelle) sprechen können.

Plattformen
Plattformen sind solche akkumulierten Selektionsentscheidungen, die für viele Interaktionsteilnemer/innen kohärente Selektionsprozesse bereitstellen (entweder durch zentrale Steuerung oder protokollarische Festlegung), um die Anschlussfähigkeit weiterer Selektionen zu ermöglichen.

Netzwerkeffekte
Die Plattform generiert Netzwerkeffekte in dem Maße, wie die vorgegebenen, kohärenten Sekektionsprozesse für möglichst viele Interaktionsteilnehmer/innen Selektionsoptionen eröffnet.

Netzwerk und Plattform
Netzwerk und Plattform sind keine sich ausschließenden Konzepte. Im Gegenteil. Plattformen ermöglichen Netzwerke, indem sie die Interoperabilität der Teilnehmer erst bewerkstelligen. Das gilt für das Internet genauso, wie für Facebook.

Spielen wir das mal anhand der Vortragsbeispiele durch:

Schon das Telefon, indem es seriell baugleich hergestellt wird, bildet eine Plattform. Die Art es zu benutzen und die Möglichkeiten es anzuschließen sind durch Selektionsentscheidungen festgelegte Selektionsprozesse. Auch die Leitungen und der Betrieb gehören dazu: Welches Material darf für den Draht verwendet werden, welche Spannung wird angelegt, in welcher Frequenz wird moduliert, etc. All diese Dinge sind Selektionsentscheidungen, die einmal getroffen wurden und kohärent im „System Telefon“ eingearbeitet sind und so enggefasste Prozesse vorgeben. Innerhalb dieser enggefassten Prozesse entstehen aber neue Selektionsoptionen, die ohne Plattform nicht existieren würden: z.B. Telefone zu verschalten.

Diese neuen Selektionsoptionen sind: Welches Telefon wird mit welchem Telefon verbunden? Oder: An welches Netz schließe ich das Telefon an? Oder tue ich das überhaupt? Wichtig: diese Selektionsoptionen werden durch die vorherigen Selektionsentscheidungen erst ermöglicht. Genau das meinen wir mit Plattform.

Und wenn wir ein verknüpftes Telefonnetz haben, dann haben wir – klar ein Netzwerk. Dieses Netzwerk steht aber nicht für sich, sondern hat seine Plattform in den bereits besprochenen Selektionsentscheidungen und jede/r, der/die die Selektionsprozesse der Plattform erfüllt, kann Teil des Netzwerkes werden. Die Plattform wird zur Zugangsberechtigung des Netzwerkes.

Und jetzt machen wir eine Iteration: Denn das fertige Telefonnetzwerk ist nicht nur ein Netzwerk, sondern bildet mit seinen immanenten Selektionsentscheidungen wiederum die Plattform für weitere Selektionsentscheidungen.

Bleiben wir vorerst bei den Partylines (also alle Telefone sind direkt miteinander verschaltet). Dann ergibt sich für mich die Selektionoption, mich durch das Aufnehmen des Hörers in die Leitung zu begeben, oder eben nicht. Bei der zweiteren Selektion bleibt das Netzwerk latent, also eine reine Selektionsoption. Das Netzwerk wird erst aktuell, wenn ich tatsächlich mich mit den anderen Teilnehmer/innen in der Partyline verschalte.

Komplizierter wird das noch mit den Einszueins-Verbindungen, die dann über die Switchboards und den Telefonistinnen organisiert wird. Diese Verschaltung (also die Selektionsleistung) bedarf einer vergleichsweise komplizierten Logik. Sie wird zentral organisiert, weswegen wir es hier (lange vor Facebook) mit einer zentral gesteuerten Plattform zu tun haben. Zunächst bleiben die Selektionsprozesse physisch erlebbar, weil sie offen prozessiert werden.

Die Legende geht, dass die Nichtneutralität dieser Selektionsprozesse durch die Telefonistinnen zur Entwicklung der mechanischen Hebdrehschaltung geführt hat. Dessen Erfinder, der Bestattungsunternehmer Almon Brown Strowger aus Kansas City, wurde bei der Verbindung in Todesfällen gegenüber einem anderen Bestattungsunternehmer, der Verbindungen in die Telefonzentrale hatte angeblich systematisch diskriminiert. (die Anekdote ist aber fraglich.)

Zusammenfassend: Die Plattform besteht nun aus einem ganzen Zoo von Selektionsentscheidungen, die jeweils aufeinander beruhen. Von der Bauart des Telefons, über die Beschaffenheit und Betrieb des Netzes, über Verschaltung der physischen Leitungen, bishin zur verschaltenden zentralintelligenz der Telefonistinnen an ihren Switchboards (und später ihrer mechanischen Substitution).

Machen wir zum Gegencheck einen kurzen Sprung ins Internet. Hier haben wir ebenfalls auf einander aufbauende Selektionsentscheidungen, die in ihrer Komplexität und Reichhaltigkeit allerdings die Telefonnetze weit in den Schatten stellen. So kann man jeden einzelnen Layer im Netzwerkmodell (wir nehmen hier nicht OSI, sondern orientieren uns am viertstufigen Aufbau) als Plattform verstehen. Wir haben da den physischen Layer, der das basale Funktionieren der Datenverbindung bereitstellt. Die dort getroffenen Selektionsentscheidungen geben die Prozesse vor, auf denen das Internet Protokoll (IP) seine eigenen Selektionsprozesse fahren kann. Und so geht das weiter. TCP arbeitet auf den von IP bereitgestellten Prozessen, um die Paketdistribution und Logistik zu organisieren und die Applikationen arbeiten wiederum auf den Prozessen die TCP ihnen zur Verfügung stellt und machen, was sie eben machen. Jeder Layer wird durch den vorherigen ermöglicht, bildet also dessen Plattform. Und das geht weit über die Protokollebene hinaus. Das WWW hat das Internet zur Plattform und Facebook hat das WWW zur Plattform.

Bleiben wir kurz bei Facebook, denn Facebook ist natürlich Prototyp eines bestimmten, (scheinbar) neuen Paradigmas der Plattform. Es stellt nämlich die Kohärenz seiner Selektionsprozesse nicht durch verabredete Standards fest, sondern organisiert sie über eine zentrale Datenbank. All ihre Selektionsentscheidungen werden in Datentabellen gespeichert und bei Bedarf durch komplexe Querystatements reaktualisiert. Ich nenne solche Plattformen deswegen auch querybasierte Plattformen. Wenn wir genauer hinschauen, ist die querybasierte Plattform aber überhaupt nichts Neues, sondern in ihrer basalen Form bereits durch die Telefonistinnen an den Switchboards gegeben (es wird wirklich Zeit den Begriff der Query neu auszuarbeiten). Warum diese Form der Plattform sehr erfolgreich ist, hat viele Gründe, auf die ich jetzt aber nicht eingehen will.

Wir haben gesehen, dass die Plattformdefinition sowohl auf das Telefonnetz, das Internet und seinen Protokollschichten, als auch auf Facebook & co anwendbar sind. Testen wir zum Schluss noch einmal unseren Plattformbegriff auf ihre ursprüngliche Definition (jedenfalls eine davon):

„Plattform f. begrenzte, erhöhte Fläche, Fundament, Aussichtsterrasse, Plateau, vom gleichbedeutend französisch plate-forme, […] in der Sprache der zivilen und militärischen Baukunst. Die Bezeichnung wird besonders im Festungsbau für flaches Bollwerk, starkes Fundament für Wurfgeschütze gebräuchlich (17. Jahr.), […]“

(Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer, S. 1018)

Das hört sich erstmal sehr fern unserer Definition an, ist es aber nicht. All die genannten Eigenschaften treffen zu. Jede zu Grunde liegende Selektionsentscheidung „erhöht“ die Plattform und hebt sie heraus aus der Kontingenz. Die Plattform ist hier wie dort „begrenzt“ und vor allem ist sie „flach“. Flach ist unserer Plattformbegriff dort, wo wir von Kohärenz sprechen. Die Fläche ist eine in sich kohärente (wenn auch basale) Selektionsentscheidung. Und hier können wir ein wenig spekulieren: Wie in unserer Definition hat die Pattform im Original zur Folge, dass die dort plazierten Wurfgeschosse schnell austauschbar sind, sowohl untereinander als auch generell. Weil sie alle auf derselben Höhe operieren, können sie – jedenfalls wenn sie baugleich sind – auch gleichförmig eingestellt und ausgerichtet werden. Schon die frühste Idee von Plattform sollte also Interoperabilität bewerkstelligen.

Aber wenn denn nun Plattformen gar kein neues Ding sind, warum sollen wir dann jetzt von der Plattformgesellschaft reden?

Die Plattform war immer die implizite Grundlage – weil organisatorische Bedingung – des Netzwerkes und damit der Netzwerkgesellschaft. So lange diese Grundlagen (und ihre bürokratische Arbeit, wie wir im Vortrag sagen) einfach still vorsichhin-funktionieren, sind sie für unsere Wahrnehmung quasi unsichtbar. Jetzt aber, da die Kohärenz ihrer Selektionsprozesse in Gefahr ist (Netzneutralität), sich bestimmte Plattformverschiebungen ereignen (Appstore vs. Open Web) und auf der anderen Seite die mächtigen zentralistischen Query-Plattformplayer empor steigen, werden diese Grundlagen sichtbar und (teils) bedrohlich.

Was mich zu einer letzten These verleitet: Während Netzwerke durch ihr Funktionieren beobachtbar sind, sind Plattformen nur in ihrem Nichtfunktionieren beobachtbar; also z.B. dort, wo die Kohärenz gebrochen wird.


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Warum wir eine Netzinnenpolitik brauchen

Gestern saß ich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung auf einem Panel über Hate Speech und was wir dagegen unternehmen können. Ich hatte mir einige Vorschläge und Argumentationen zurechtgelegt, dabei aber nicht so recht bedacht, dass meine Mitdiskutant/innen ja vor allem SPD-Politiker/innen sein werden. Dass also erst einmal die Grundbegriffe geklärt werden müssen und worüber wir überhaupt reden.

Ich habe dennoch meine Forderung nach einer Netzinnenpolitik anbringen können. Was meine ich damit?

Die deutsche Netzszene hat sich formiert als zivilgesellschaftliche Verteidigung der Netzfreiheit gegenüber den Regulierungsbestrebungen der Politik. Überspitzt kann man formulieren, dass Netzpolitik die Selbstverteidiung des Netzes gegenüber seinen äußeren Feinden ist. Das war und ist eine wichtiger Kampf und er muss auch weiterhin gefochten werden. Doch wir haben nicht mehr 2009 und dieser Kampf wird zunehmend überschattet von internen Effekten und Phänomenen eines in der Zwischenzeit enorm gewachsenen Netzes.

Das Netz ist jetzt überall und kennt kein richtiges Außen mehr (gut, bis auf SPD-Politiker/innen …) und immer größere und wichtigere Kämpfe finden bereits intern statt. Dort geht es aber nicht mehr um SPD gegen CDU (haha!), sondern zum Beispiel um die Maskulinistische/Antifeministische Szene gegen Feminist/innen. Um Mißverständnisse von Nichtkennern zu vermeiden: dieser Kampf geht weit über die alltäglichen Twitterscharmützel hinaus, sondern hat mit #Gamergate globale Ausmaße angenommen. Es ist ein weltweiter Kulturkampf und er findet mittlerweile in allen möglichen kulturellen und diskursiven Teilbereichen statt, z.b. auch in der Science Fiction Szene. Aber auch dieser antifeministische Backlash ist nur ein Beispiel von vielen. Die Debattenfrontstellungen im Netz zu Ukraine vs. Russland stehen in ihrer Größe und Heftigkeit diesem Konflikt zumindest hierzulande kaum nach. Auch weil sie teils mit viel Geld gestützt, bzw. gesteuert werden. Wir haben die Pegida/Legidia/Hogesa/Dinsgadabumsda-Rassisten, die sich auf Facebook und Blogs mit allerlei Verschwörungstheorien ihre Rassistische Weltsicht zurecht spinnern. Dazu die Reichsbürger/innen und Verschwörungstheoretiker/innen und Antisemit/innen der Mahnwichtel. All diese Gruppen überschneiden sich vielfältig, sind aber nicht identisch. Und es werden immer mehr und sie werden immer schlagkräftiger.

Da von dem weiteren Wachstum des Netzes und der Vielfältigkeit seiner Verbindungen (und damit seiner Konflikte) auszugehen ist, traue ich mir hier ein paar Prognosen zu: die Konflikte der Zukunft finden nicht mehr zwischen Staaten statt, sondern zwischen Weltanschauungen. Aber anders als bei der Blockkonfrontation des kalten Krieges werden die Weltanschauungen nicht mehr durch geographische Grenzen beschreibbar, sondern die Fronten ziehen sich global durch alle Gesellschaften. Es werden sich nicht mehr zwei Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern hunderte, vielleicht tausende parallel. Sie werden nicht in einem Wettrüsten der Systeme, sondern in kleinen Scharmützel nebenher oder großen Shitstorms zwischendurch ausgetragen werden. Und sie werden nicht befriedet werden können, weil keine Seite der anderen ihren Willen aufzwingen kann und weil die Konfliktparteien einander immer referenzierbar bleiben werden.

All das zeigt, dass dass wir die Probleme um Hate-Speech um ca. 100 Größenordnungen zu klein denken. Es sind keine Probleme die irgendein Staat mit irgendeiner Verschärfung irgendeines Gesetzes in den Griff bekommt. Es sind interne Probleme eines globalen und zu den Individuen hinunterdiffundierten Netzdiskurses und sie können somit auch nur mit den Mitteln des Netzes adressieret werden.

Was wir brauchen ist eine Netzinnenpolitik.

Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die Plattformbetreiber ein. Die Forderungen, Twitter möge doch bitte deutlicher und schneller eingreifen bei Belästigung und Angriffen, ihre Tools zum Blocken und Muten doch bitte den Wünschen potentieller Opfern entsprechend anpassen und verbessern sind nicht neu und sie sind der richtige Weg. Aber ich glaube, das reicht nicht.

Es kann auf Dauer nicht funktionieren, die Plattform sowohl der maskulinistischen Szene, als auch die der Feminist/innen zu sein. Ja, ich zweifele hier das Konzept der Neutralität der Plattform an. Ich glaube, das ist auf Dauer nicht machbar.

Die Probleme, die diese Konflikte aufzeigen – das merkte man auch deutlich auf der Tagung gestern – sind eben nicht in erster Linie normative. Natürlich sind Vergewaltigungs- und Morddrohungen sowie Beleidigungen ein großes Problem. Aber dagegen gibt es bereits nationalstaatliche Gesetze. Und auch wenn man die Rechtsdurchsetzung hier sicher verbessern kann, machen wir uns selbst etwas vor, wenn wir glauben, dass alles gut würde, wenn die Maskus anfangen, ihre Handlungen im Rahmen des Strafgesetzbuches organisieren (was sie größtenteils eh schon tun). Die Maskus sind nicht nur als Harasser ein Problem, sondern als politische Gruppe, als giftige Ideologie.

Deswegen glaube ich, dass man diese Probleme nicht normativ (im Sinne von gewünschtem und nicht gewünschten Verhalten, egal ob im Strafgesetzbuch oder in den Terms of Service) lösen kann, sondern dass man sie politisch beantworten muss. Politisch, im Sinne von „eine Haltung zeigen“ und sie durchsetzen.

Facebook und Twitter könnten sich zum Beispiel zu einem emanzipatorischen Menschenbild bekennen und sagen, dass bestimmte Ideologien dort keinen Platz haben. Das ist auch gar nicht so neu. Gegen Sites des Islamischen Staats und anderen militant islamistischen Gruppen geht Facebook bereits gezielt vor. Klar, auch auf Druck der US-Regierung, aber auch darüber hinaus. Warum nicht auch mit dem selben Eifer gegen Nazi-sites? Warum nicht gegen Pegida? Warum nicht auch Maskulinistengruppen?

Jetzt kommen wieder die Leute, die rufen, dass das ja eine Beschneidung der Meinungsfreiheit bedeutet. Dem will ich nicht völlig widersprechen, denn natürlich ist Facebook ein mächtiges Instrument der Reichweite. Dennoch halte ich einen solchen Schritt für vertretbar. Das Internet ist groß und es gibt noch viele andere Plattformen, auf denen der Content solcher Leute geduldet wird. Und ich bin mir sicher, wenn Pegida Facebook verlassen muss, ziehen ihre Anhänger hinterher. Warum nicht das russische V-Kontakte? Das ist sowieso schon ein wichtiges Vernetzungsinstrument der rechten Szene geworden. Auch Homophobie und sonstige Menschenfeindlichkeit sind dort immer gerne gesehen.

Wofür ich also plädiere ist nicht eine Abschaffung bestimmter Meinungen, sondern eine Ausdifferenzierung der Plattformen nach politischer, weltanschaulicher Haltung. Ich halte eine solche Ausdifferenzierung auf Dauer eh für unumgänglich. Einer der wichtigsten Aspekte eines netzinnenpolitischen Aktivismus wird sein, die strategisch wichtigen Plattformen auf die richtige Seite zu ziehen.

Bis es aber so weit ist, gilt es, soziale Sanktionsmechanismen zu finden, um auf den Plattformen selbst gegen die entsprechenden Auswüchse vorzugehen. Dafür habe ich unlängst die Filtersouveränität als Politik vorgeschlagen.

Netzinnenpolitik muss also auf zwei Ebenen stattfinden: der längst im Gange befindliche zivilgesellschaftliche Kampf um Deutungshoheit und gegen Menschenfeindlichkeit und der langfristig wichtige, strategische Kampf um die Positionierung der Plattformen.

Und dann muss das noch irgendjemand für die SPD-Politiker/innen erklären. Obwohl … Wozu?


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Die Impfgegner und die Krise der Institutionen

Vier Jahre ist das jetzt her, dass Gunter Dueck auf der re:publica 2011 seinen viel gefeierten Talk „Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem“ hielt. Höhepunkt seines Vortrags („So jetzt kommt das schwere Geschütz“) war die Frage:

„Glauben Sie nicht, dass wenn jemand eine Krankheit hat, dass er dann nach 2 Stunden surfen 10 mal mehr weiß, als sein Arzt?“

Ich aber saß in meinem Sitz und ich konnte mich der schlichten wie unaufdringlichen Logik dieser Frage nicht entziehen. Wir kennen das alle: 10 Ärzt/innen 12 Diagnosen. Jeder kennt Fälle, in dem eine Patient/in tatsächlich die Diagnose richtiger einschätzte als der/die Arzt/in. Und hier nun stand Gunter Dueck und gab eine einfache Erklärung. Das Internet enthält doch bereits alles Wissen. Wer genügend Motivation mitbringt, (und die fehlt Betroffenen selten), kann sich (zumindest in vielen Fällen) selbst besser diagnostizieren, als ein Allgemeinarzt, der im Zweifelsfall vor vielen Jahren mal irgendwo eine Vorlesung zum Thema wieder vergessen hat.

Ich sehe Duecks Argument heute nicht widerlegt, aber es wird immer offenbarer, dass es mehr braucht, als nur Internet und Motivation. Etwas, was Dueck und auch ich damals implizit vorausgesetzt gesetzt haben: das Vorhandensein von kritischem Denken, eine gewisse wissenschaftsmethodische Bildung. Damit meine ich die Fähigkeit, kritisch mit Quellen umzugehen und auch seinem eigenen Urteil zu mißtrauen (das ist – nebenbei – der Hauptunterschied zu den Verschwörungstheoretikern: ihr kritisches Denken zieht alles in Zweifel außer dem eigenen Urteil).

Was nämlich passiert, wenn unter sonst gleichen Bedingungen das kritische Denken fehlt, kann man derzeit in Berlin und schon länger in den USA beobachten. Impfgegner machen mit Verschwörungstheorien, Selbstdiagnosen und anekdotischer Evidenz gegen das Impfen mobil. Längst ausgestorben gedachte Krankheiten brechen wieder aus, in Berlin gibt es jetzt den ersten Masern-Todesfall.
(Nachtrag: Anne Roth macht mich per Facebook gerade darauf aufmerksam, dass es Impfgegner natürlich bereits viel länger gibt und wirft richtig ein, dass mir jegliche Evidenz fehlt, dass das Thema in letzter Zeit größer geworden ist. Das ist richtig. Dieser Text basiert auf meiner subjektiven Beobachtung und stellt implizit die These auf, dass Impfgegnerschaft durch das Netz zugenommen hat.)

Das Internet hat sich während meiner Beschäftigung damit wahnsinnig verändert. Die Hauptveränderung ist aber mit Sicherheit seine Skalierung. Waren wir von 2007 bis 2011 noch eine sehr kleine, spezielle Gruppe von Menschen, die das Internet publizistisch nutzten und auf den re:publicas als zukünftigen und utopischen Raum des Denkens feierten, hat sich das Internet inzwischen als Medium der Massen durchgesetzt. Die Durchdringung einzelner Seiten wie z.B. Facebook hat längst alle Zeitungen und Fernsehsender zusammengenommen überflügelt. Letzteren wird immer weniger Vertrauen geschenkt, man findet sich zusammen um gemeinsam am Mainstream zu zweifeln. Wir bekommen das nicht so mit, weil unsere Queryöffentlichkeiten uns von dem meisten abschirmen – und deren Queryöffentlichkeiten schirmen sie von uns ab. Ich habe das letztens bereits anhand von Pegida beschrieben:

„Doch die Resonanzräume ermöglichen sowohl Vernetzung als auch Abschottung. Hermetische Weltbilder, die Evidenz durch zirkuläres zitieren und den ausschließlich negativen Bezug auf die mediale Außenwelt bezieht: “Sie wollen uns als Verschwörungstheoretiker verunglimpfen, also muss es wahr sein!” Wissen ist nichts anderes als ein hinreichend dichtes Netz aus Informationen, schreibe ich in meinem Buch. Unter guten Vernetzungsvoraussetzung kann also alles zum Wissen werden – zur Wahrheit – zumindest aus einer bestimmten Query heraus gesehen.“

Der Vertrauensverlust gilt nicht nur gegenüber den Massenmedien und den „Politikern da oben“, sondern eben auch gegenüber den Ärzt/innen. Wie das, was Gunter Dueck damals beschrieb, heute in der Realität aussieht, kann man aktuell studieren, wenn man Stephan von Schockfaktor in die Facebookgruppen der Impfgegner folgt. Minutiös beschreibt er die Diskussionen, die er dort führte und mit welchen „Argumenten“ er konfrontiert wurde. (Ich werde im Folgenden ein wenig daraus zitieren.)

Politik, Medien, Gesundheitssystem. Alle haben sich verschworen gegen die kleinen Leute. Was wir erleben nenne ich in meinem Buch „die Krise der Institutionen“ und widme ihr ein Kapitel. Durch die Selbstorganisationsmächtigkeit der neuen Medien verlieren die zentralistisch und hierarchisch organisierten Institutionen an Macht:

„Institutionen verlieren an Macht, da sie besser kontrolliert werden können, Konkurrenz bekommen und an Vertrauen verlieren. Wir dagegen gewinnen an Macht. Wenn wir einander über die Query suchen und finden, brauchen wir keine externen Instanzen mehr, die Komplexität reduzieren und Transaktionskosten gering halten.“

Gehen wir die genannten drei angesprochenen Angriffsvektoren Kontrolliert werden, Konkurrenz bekommen und an Vertrauen verlieren mal anhand der Impfdebatte durch:

Durch die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen, lassen sich Ärzt/innen besser kontrollieren. Man muss ihrer Diagnosen nicht mehr blind vertrauen. Mit ein wenig Googlerecherche und Wikipediagewühle lassen sich meistens Diagnosen und Ratschläge verifizieren – oder auch nicht. Vielleicht findet man überzeugende Argumente und Belege seinem Arzt/Ärztin das Vertrauen zu entziehen. Oder man findet Ci Ci, die sagt: „Weil Fakt ist: Impfungen sind Gesundheitsschädlich. Ich kenne in meinem Umfeld mind. 3 Kinder mit impfschaden!

Das heißt, implizit, dass die Ärzte Konkurrenz bekommen. Nicht im kommerziellen Sinne, sondern, dass ihr Urteil Konkurrenz bekommt. Mal von einer informierten Betroffenen, die die Wikipedia leergelesen, sich durch Bücher gewühlt und die neusten Paper zur Krankheit in Fachmagazinen gelesen hat, oder das andere Mal durch Marion K, die sagt:

„Mal zu den Büchern und Wikipedia. Egal was ihr lesen werdet. In den wenigsten Fällen IST es die Wahrheit. Wer liest, liest das was der Staat will das ihr es lest. Das nicht impfen lernt man nicht in einem Buch. Das sollte ein Urinstinkt sein. Und bei den meisten ist das auch so. Und überzeugen könnt ihr eh kein. Entweder man ist bereit den Weg zu gehen oder nicht.“

So oder so, der Arzt als Institution erleidet durch die Queryöffentlichkeit der Menschen einen Vertrauensverlust. Sei es, dass die informierte Betroffene mit Grund das Urteil ihrer Ärzt/in anzweifelt und lieber eine andere Spezialist/in aufsucht. Oder eben wie Corinna H., die statt anderer Spezialist/innen sich in der erwähnten Facebookgruppe rückversichert als ihr Arzt riet, ihr Kind gegen Tetanus zu impfen, als es sich beim Spielen mit vielen Splittern übersäht hatte. „Ich habe abgelehnt – aber dennoch hat er mich verunsichert.

Funktional betrachtet ist das alles dasselbe. „Mißtraut Autoritäten!“ ist eine richtige Forderung, die aber gefährlich ist, weil sie von Privilegienblindheit geschlagen ist. Sie funktioniert nur für Menschen die gar nicht wissen, dass sie mehr wissen als die meisten – und deswegen vielleicht tatsächlich keine Autoritäten brauchen. Andere verlieren durch den Machtverlust der Autoritäten die Orientierung und und suchen sich einfach Neue, die sehr viel fragwürdiger sind, als die offiziellen. Die blühenden Verschwörungstheorien, die Männerrechtler, die Impfgegner und Pegida und co sind (auch) Phänomene dieser Krise der Institutionen.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin immer noch ein großer Fan des Internets und seiner immanenten Eigenschaft, Gatekeeper zu entmachten und die regulative Rolle der Institutionen abzubauen. Aber wir sollten uns klar darüber sein, dass manche Wände, die wir gerade einreißen, tragend waren. Wir müssen damit rechnen, dass durch den Machtverlust der Institutionen erst einmal eine Menge Unordnung freigesetzt wird und bestimmte Errungenschaften zurück in einen chaotischen Zustand entgleiten, der längst überwunden geglaubt war. Das gilt nicht nur für Uber und AirBnB, sondern auch für die Diskurse ansich. Das Internet ist für die einen das perfekte Tool der Aufklärung, für die anderen der perfekte Ort, sich ungestört in einem faktenbefreiten Diskurs über die eigenen Glaubenssätze zurückzuziehen. Und es gibt niemanden mehr, der sie dafür sanktionieren könnte.

Ich will das alles aber auch nicht allzu zu schwarz malen. Es werden sich jenseits der kriselnden Institutionen neue Kontrollmechanismen entwickeln (müssen). Mein derzeitiger best Guess sind derzeit die Plattformen. Sie entwickeln sich immer weiter in Richtung Nutzer- und Diskurskontrolle. Auch das kann man ebenso gefährlich finden, wie notwendig. Vielleicht wird es aber auch ganz andere Mechanismen geben. Die Frage ist nur – und die stellt sich angesichts solcher Phänomene wie der Impfgegner immer drängender – wird das Kontrolldefizit durch den Kontrollverlust zwischenzeitlich in einer allgemeinen Katastrophe ausarten, oder werden neue Kontrollmechanismen früh genug greifen und das Schlimmste verhindern?


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Planwirtschaft vs. Marktwirtschaft unter digitalen Bedingungen

Diesen Tweet kann man lustig finden. Ich finde ihn lustig. Und gleichzeitig meine ich ihn ernst.


Ich glaube tatsächlich, dass marktwirtschaftliche und planwirtschaftliche Organisationsformen in einem Wettbewerb stehen und ich glaube tatsächlich, dass sich das eine und/oder andere am Markt durchsetzt. Vor allem heute, in unser sich durch die Digitalisierung wandelnden Zeit.

Um das zu verstehen muss man ersteinmal ein paar Begriffe klarkriegen, die oft durcheinandergeworfen werden.

1. Marktwirtschaft und Kapitalismus sind nicht dasselbe. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, ist zwar zu einem großen Teil marktwirtschaftlich organisiert, aber weder ist die Marktwirtschaft ein notwendiges, noch ein hinreichendes Kriterium des Kapitalismus. Kapitalismus ist – wie ich ihn verstehe – vor allem das Prinzip, dass mittels Kapitalbesitz die gesellschaftliche Wertschöpfung strukturiert wird. Ob der Kapitalist die dafür eingesetzten Ressourcen an einem Markt aquirieren muss ist dabei erstmal egal. Umgekehrt kann es durchaus Wettbewerb und Marktmechanismen komplett ohne Eigentumsrecht geben.

2. Marktwirtschaft und Planwirtschaft sind keine streng antagonistischen Prinzipien, die sich ausschließen. Es wird wohl niemand irgendwo eine reine Planwirtschaft und es wird niemand irgendwo eine reine Marktwirtschaft nachweisen können. Beides sind einfach Prinzipien der Ressourcenallokation, die unterschiedliche Vor- und Nachteile haben und die überall zu finden sind. Wir haben beim Begriff „Planwirtschaft“ immer die großen staatsgetriebenen Planwirtschaften der Ostblockstaaten vor Augen und glauben deswegen, dass Planwirtschaft einfach eine ineffiziente Variante des Wirtschaftens ist. Das war sie in diesen Systemen ohne Frage (wir kommen noch dazu), aber auch die Marktwirtschaft hat enorme Effizienzprobleme. Marktwirtschaftliche Konkurrenz setzt beispielsweise voraus, dass unglaublich viel Infrastruktur mehrfach vorhanden sein muss und gleichzeitig, dass Skaleneffekte (also die Kostenreduktion bei Herstellung vieler Güter) nicht voll ausgeschöpft werden kann.

3. Und das wichtigste: Die Planwirtschaft hat einen enormen Stellenwert innerhalb unseres derzeitigen Kapitalismus. Ronald Coase hat bereits in den 30er Jahren darauf hingewiesen, dass wir bei all unserem Schwärmen für den Markt völlig übersehen, dass jedes Unternehmen intern eine Planwirtschaft ist. Unternehmen sind Organisationen, die sich durch Institutionalisierung, Verstetigung und hierarchische Organisation und Planung dem Markt entziehen. Unternehmen stellen zum Beispiel Menschen für eine längere Zeit ein, weil es für sie zu aufwändig wäre, jeden Tag neu Leute auf dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Unternehmen machen kurzfristige, mittelfristige und langfristige Pläne, die sie dann hierarchisch organisiert durchsetzten. Mit anderen Worten, Planwirtschaften sind dem Kapitalismus nicht nur nicht Fremd, sie haben sogar sich bereits am Markt durchgesetzt, als dominante, interne Organisationsform seiner Teilnehmer.

Nachdem wir diese Punkte geklärt haben, kommen wir nun zum spannenden Teil: Wie verändert sich nun das Verhältnis von Marktwirtschaft und Planwirtschaft im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung?

Es gab bereits in den 70er Jahren die Bestrebung, anhand von computergestützter Organisation eine fortgeschrittene Variante der Planwirtschaft zu installieren: CyberSin. Die Sozialistische Regierung Allendes hat in Chile zusammen mit dem Informatiker Stafford Beer an einer kybernetischen Planwirtschaft gearbeitet. Wie effizient dieser Versuch war, lässt sich leider nicht genau bemessen, denn das Experiment fand bekanntlich sein Ende im Putsch von Pinochet. Nichtsdestotrotz gibt es – gerade in kommunistischen Kreisen die Hoffnung – mit heutiger Technologie einen solchen kybernetischen Kommunismus durchführen zu können. Die Frage der Effizienz von Ressourcenallocationsmechanismen entscheidet sich nämlich tatsächlich am Informationsfluss. Die staatlichen Planwirtschaften von Einst mussten enormen Planungshorizonten entsprechen. Fünf- oder gar Zehnjahrespläne bestimmten die Produktion von Gütern. Wer weiß schon, wer was in fünf oder zehn Jahren braucht? Hinzu kam, dass die Komplexität dieser Planungsprozesse jede Bürokratie überforderte, weswegen es immer wieder zu Fehlallokationen kam. Dagegen stelle man sich mit Internet of Things ausgestattete Smarthomes in Smartcitys vor, die an einer künstlichen Zentralintelligenz mit der Rechenpower mehrerer Rechenzentren angeschlossen sind, welche alle Informationen in Echtzeit zusammenbringt und prozessiert. Planungshorizonte würden so selten einen Tag überschreiten und meist unter einer Sekunde bleiben. Eine Echtzeitplanwirtschaft würde doch eine ungeahnte Effizienz schaffen. Wer braucht da noch den Markt?

Ich halte das durchaus für ein wahrscheinliches Szenario. Aber ich glaube nicht, dass es den Kommunist/innen gefallen wird. Die kybernetische Planwirtschaft kommt, aber diese Infrastruktur wird keine staatliche, oder gar Volkseigene sein, sondern höchst wahrscheinlich die eines Unternehmens. Und wie wir gelernt haben, widerspricht sich das ja keinesfalls, denn Unternehmen sind ja planwirtschaftliche Entitäten.

Noch haben wir einen Markt – auch im IoT – aber die nächsten Jahre werden wir sehen, wie sich verschiedene Unternehmen um den Platz als Zentralsteuerung unserer Welt balgen werden. Apple und Google sind dabei an den vordersten Plätzen aufgestellt, aber es kann in dieser frühen Phase immer noch Überraschungen geben (dafür ist die Marktwirtschaft immer gut: Überraschungen, Disruptionen etc.). Am Ende wird sich – wie das bei aller grundlegenden Infrastruktur üblich ist – EIN System durchsetzen. Und der Betreiber dieses Systems wird dann die kybernetische Echtzeit-Planwirtschaft bereitstellen, in der wir dann alle leben werden. (Fußnote: grundsätzlich ist es technisch denkbar, dass sich auch ein Set standardisierter Schnittstellen und Spezifikationen durchsetzt, welches die Plattform von IoT bildet, auf dem dann smarte Geräte miteinander reden (und konkurrieren), aber das halte ich derzeit für unwahrscheinlich, da gerade viel Ressourcen in Forschung und Entwicklung gesteckt werden, die die Unternehmen dann durch ihr geschlossenes Ökosystem wieder herauswirtschaften wollen.)

Und dann haben wir die Marktwirtschaft (nicht aber den Kapitalismus) überwunden, oder?

Nicht so schnell! In meinem Buch beschreibe ich ebenfalls, dass viele planwirtschaftliche Ressourcenallokationsprozesse zu marktwirtschaftlichen übergehen. Der Grund für die planwirtschaftliche Organisation von Unternehmen sieht Ronald Coase in den Transaktionskosten, die ein Markt so verursacht. Ressourcen am Markt zu organisieren verlangt viel Mühe: Ich muss mit anderen Marktteilnehmern verhandeln, Informationen einholen, Risiken eingehen, dass mich andere übers Ohr hauen wollen, etc. Durch die Digitalisierung reduzieren sich diese Transaktionskosten, denn die meisten Transaktionskosten entstehen durch Informationseinholung und -Verarbeitung und das nehmen uns die Computer ja immer besser ab. Deswegen werden Dinge zu marktfähigen Gütern, die vorher nicht effizient am Markt organisierbar waren. Das Resultat nennen wir heute Sharing Economy – oder Plattformkapitalismus: ein Stündchen Arbeitszeit hier, eine Nacht in einem privaten WG-Zimmer dort, eine Fahrt zum Flughafen von einem X-beliebigen Autofahrer. All diese Dinge waren vor ein paar Jahren dem Markt unzugänglich, weil der Aufwand sie zu tauschen zu groß war. Manche sprechen deswegen auch von der Durchkommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Wir haben also durch die Digitalisierung sowohl einen Trend, der hin zur planwirtschaftlichen Organisation geht und wir haben einen Trend der hin zur verstärkten marktwirtschaftlichen Organisation geht. Und beides schließt sich nicht aus, nein, es bedingt sich sogar. Denn beide treffen sich in der neuen Form der Institution: der Plattform.

Plattformen sind meist durch ein Unternehmen bereitgestellte, also planwirtschaftlich organisierte Infrastrukturen, auf denen sich Inseln marktwirtschaftlicher Organisation bilden können. Sie sind damit die Invertierung unseres tradierten Systems: einer Martktwirtschaft mit planwirtschaftlichen Inseln (Unternehmen).

Die Zukunft ist lustig, oder?


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Die Struktur geheimen Wissens und sein Staat

Gerade spielen sich in der Politik Szenen ab, die sehr gut Aufschluss darüber geben, wie die eigentliche machtpolitische Konstellation zwischen Geheimdiensten und den sie bezahlenden Staaten aufgebaut ist.

Auslöser ist der NSA-Untersuchungsausschluss des deutschen Bundestages. Es war schon oft bemängelt worden, dass vertrauliche Informationen und Dokumente im Zuge der Untersuchung ans Tageslicht kamen. Nun aber macht einer der wichtigsten Partner des BND Ärger. Der britische GCHQ droht mit der Kündigung der Zusammenarbeit und nun wird befürchtet, dass der BND dem Untersuchungsausschuß aus diesem Grund Akten vorenthalten könnte.

Wir sehen also einen BND, der zwischen seiner operativen Verpflichtung des Staates gegenüber, dessen Behörde er immer noch ist und der Loyalität zu seinen britischen Partnern hin und her gerissen ist. Wir sehen, dass eine Behörde ihre politische Aufsicht in Frage stellt. Und das ist doch … ganz interessant.

Nun ist es keine Neuigkeit, dass das Konzept Geheimdienst strukturell der Funktionsweise eines demokratischen Staates widerspricht und dass institutionelle Kontrollversuche deswegen immer wieder scheitern. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung zur Gewährleistung der Arbeit von Geheimdiensten ist die Sollbruchstelle seiner demokratischen Einbeziehbarkeit. Aber das ist nicht der einzige Grund. Die letzten Jahre wirkten weitere, externe Kräfte auf die besagte Konstellation und entfalteten eine enorme Sogwirkung auf die Geheimdienste, was die Sollbruchstelle zusätzlich strapazierte.

In meinem Buch identifiziere ich die vier wesentlichen Akteure des Neuen Spiels: Staaten, Geheimdienste, Plattformen und die Zivilgesellschaft. Ganz richtig, ich liste Staaten und Geheimdienste als voneinander unabhängige Akteure auf und zu den Geheimdiensten schreibe ich:

„Fast schon unabhängig von der schwindenden Bedeutung des Staates ist die Bedeutung der Geheimdienste. Oberflächlich betrachtet, scheinen sie von ihren jeweiligen Staaten abhängig zu sein, in Wirklichkeit jedoch haben sie sich als internationales Geflecht weitgehend autarke, selbstbezogene Strukturen geschaffen, die so leicht nicht mehr loszuwerden sind. Sie sind zur internationalen Plattform des geheimen Wissens geworden und werden im Neuen Spiel eine wichtige, wahrscheinlich unangenehme Rolle spielen.“

Die Struktur der „internationalen Plattform geheimen Wissens“ ist der eigentliche Grund, weswegen die Loyalitäten für den BND nicht mehr klar entscheidbar sind. Und das hat damit zu tun, dass Wissen Netzwerkeffekte ausbildet. Ein großes Wissen macht es immer attraktiv, weiteres Wissen anzuschließen. Je größer das Wissen, desto größer der Sog. Und dieser Sog betrifft auch die Geheimdienste:

„Das Wissen der Geheimdienste bildet massive Netzwerkeffekte aus, und das ist einer der strukturellen Gründe für unsere heutige Situation. In seinem Paper „Privacy versus government surveillance: where network effects meet public choice“(PDF) vertritt der britische Sicherheitsforscher Ross Anderson die These, dass die Netzwerkeffekte der NSA-Datensammlung derart groß sind, dass sich die Geheimdienste anderer Länder dem Sog gar nicht entziehen können. Angefangen hat es mit dem Five-Eyes-Abkommen zwischen Kanada, Großbritannien, Australien, USA und Neuseeland. Da es für Auslandsgeheimdienste in den meisten Demokratien verboten ist, ihre eigene Bevölkerung auszuspähen, haben sich die Dienste zu einer Art Ringtausch zusammengeschlossen: „Ihr überwacht unsere Bevölkerung und wir eure.“ Die Daten tauschen die Dienste dann bei Bedarf.
Wir wissen seit Snowden, dass solche Verbindungen weit über die Five Eyes hinausreichen. Der deutsche BND, der französische DGSE, die Geheimdienste der Türkei, Indiens, Schwedens und einer unbekannten Anzahl weiterer Partner tauschen in großem Umfang Daten mit der NSA. Die Erkenntnis drängt sich auf: Auch Geheimdienste sind eine Plattform. Die alles verknüpfende Querytechnologie xKeyScore verbindet sie schließlich zum alles sehenden Orakel – ein Orakel, bei dem wieder gilt: Die Kleinen profitieren von den Großen deutlich mehr als umgekehrt. Ein Geheimdienst, der nicht mit der NSA Daten tauscht, ist nach heutigen Maßstäben schlicht blind. Das erklärt auch, warum ein Dienst wie der BND bereit ist, alles zu tun, um wertvolle Daten für die NSA bereitzustellen.
[…]
Die NSA ist das Schwarze Loch im Zentrum der Geheimdienstgalaxie. Ihre Datengravitation zieht die Daten aller anderen Geheimdienste an, und kein Geheimdienst kann sich dem widersetzen. Sie haben im Grunde dasselbe Problem wie wir. Der BND ist von der NSA und ihrem Zugang zu XKeyscore ebenso abhängig wie wir von Facebook.“

Die Bundesregierung ist in einem Zwiespalt. Natürlich will sie einen Geheimdienst, der ihr treu ergeben ist. Aber sie will auch einen effektiven Geheimdienst. Ein Geheimdienst, der nicht mit NSA und GCHQ zusammenarbeitet, ist aber um viele Faktoren weniger effektiv. Also lässt man ihn mit den anderen Kindern spielen, verzichtet auf allzu harsche Kontrollen und hofft, dass das schon gutgehen wird.

Am Ende bleibt zwar ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Staaten und Geheimdiensten (der Staat stellt die Mittel bereit, die Geheimdienste versorgen ihn mit Information), aber das ist nicht mehr das einer Behörde zu seinem Dienstherrn. Vielmehr entwickelt es sich zu einem Austausch auf Augenhöhe, bei dem jeder der Akteure eigene Interessen hat und die auch egoistisch verfolgt. Mit anderen Worten, das Verhältnis der Dienste zu den Staaten wird zum Markt. Geheimwissen als Dienstleistung.


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Die neuen Cryptowars und die Plattformdämmerung

Derzeit scheinen wir gerade wieder in einen neuen Cryptowar hineinzuschlittern. Als Cryptowar wurde der Versuch der Regierungen, insbesondere der US-Regierung in den 90er Jahren bezeichnet, wirksame PublicKey-Verschlüsselungs-Software an ihrer Verbreitung zu hindern. Hacker und Aktivisten gingen damals so weit, auf Papier ausgedruckten und aus den USA importierten Quellcode händisch abzutippen. Die Regierung musste damals, vor allem auch aufgrund des Drucks aus der Wirtschaft, einlenken.

Heute scheint es einen erneuten Vorstoß zu geben. Erst kam der britische Premier Cameron aus der Deckung, dann Obama und nun hat auch unser Innenminister de Maizière erste Andeutungen gemacht. Die Behörden sollen im Notfall auf jede Kommunikation zugreifen können. Die Gunst der Stunde nach den Anschlägen in Paris muss schließlich genutzt werden.

Lässt man die Propaganda (und zwar von beiden Seiten …) mal beiseite und richtet lieber einen zweiten Blick auf das Timing und vor allem den Wortlaut der Formulierungen, kommt man nicht umhin, von den drei riesigen Elefanten Notiz zu nehmen, die da übergroß im Raum stehen. Ihre Namen sind iMessage, Hangout und WhatsApp und die Politiker geben sich auch nur wenig Mühe diese Adressaten zu verschleiern.

Egal, was unsere snobistische Hackerauskenner erzählen („das kann ich nicht ernst nehmen, das ist nicht Open Source und ich habe da keine Kontrolle über die Schlüssel)“, ist es die teils angekündigte, teils schon umgesetzte Umrüstung durch Google, Apple und Facebook auf Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation ihrer Messanger, die den Sicherheitsbehörden, Geheimdiensten und Innenpolitikern den Angstschweiß auf die Stirn zaubert. Denn während unsere braven Hacker mit ihren Cryptoparties die letzten zwei Jahre vielleicht ein paar tausend Leute zum partiellen Gebrauch von PGP angeleitet haben, gehen für die Geheimdienste durch den Move der Kommunikationsgiganten auf einen Schlag über eine Milliarde Lichter aus. Weit über eine fucking Milliarde! Gleichzeitig wird durch die Marktmacht der drei Riesen ein neuer Industriestandard geschaffen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird zu einem Mandatory-Häkchen auf den Werbetafeln aller Messangeranbieter, wie heute „HD“ bei Fernsehgeräten. Wird die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in den Diensten wie angekündigt sauber implementiert – und es gibt keine Anzeichen, warum das nicht der Fall sein sollte – dann ist das der größte und wirksamste Schlag gegen die Massenüberwachung, der heute überhaupt technisch vorstellbar ist.

(Jajaja, jetzt höre ich sie schimpfen! Den Konzernen könne man doch eh nicht trauen, die haben doch bestimmt Backdoors und schlechte Zufallszahlen implementiert! Durch die intransparente Keyverwaltung können die Dienste Man-in-the-Middle-Attacken durchführen, etc. Das mag sein, doch selbst im verschwörungstheoretischen Worstcase gehen bei der Massenüberwachung die Lichter aus. Man-in-the-middle ist ein aufwändiger, gezielter Angriff und selbst wenn Geheimdienste Wege haben, die Crypto durch manipulierten Zufall schneller zu knacken, wird ihnen angesichts der schieren Masse an verschlüsselter Kommunikation (mehr als eine Milliarde Accounts!) die Rechenpower ausgehen.)

Das hier könnte ein Gamechanger sein, die einzige wirklich positive und signifikant wirksame Antwort auf und seit den Enthüllungen von Edward Snowden. Und es ist nicht alles.

Der Clash der Systeme

Ich sehe hier auch eine entscheidende Schlacht eines viel größeren Machtkampfes, den ich in meinem Buch beschreibe: Den Niedergang des Einflussbereichs der Staaten und der wachsenden Relevanz von Plattformen.

Im Buch stelle ich fest, dass sowohl immer mehr Lebensbereiche über Plattformen geregelt werden (von Retail bis Sharing Economy) und gleichzeitig Plattformen durch ihre Netzwerkeffekte zu internationalen Machtzentren heranwachsen (Facebook, Google, etc.). Schon heute kollidieren die Plattformen auf vielen Ebenen mit den Regulierungsanspruch der Nationalstaaten. Doch diese Konfrontationen sind nur unwichtige Scharmützel gegenüber den wirklich treibenden Kräften dieser Entwicklung: die Emergenz und das rasante Wachstum von neuen Formen menschlicher Interaktion, für die sich die Nationalstaaten logischer Weise gar nicht zuständig sehen. Die Anwendung von AGBs, die Absicherung von Transaktionen durch Prozesse, Regularien und eigenen Institutionen, die impliziten Vorgaben des Code ist Law, aber auch die Bekämpfung von Spam, Trollen, nicht justiziablen Formen von Betrug und Hatespeach – oder die zunehmende Durchsetzung von inklusionistischen Konzepten. Wie wir einkaufen, wie wir Auto fahren, wie wir reisen und wohnen, wie wir uns Unterhalten lassen, wie wir kommunizieren, was erlaubt ist und was nicht wird zunehmend nicht mehr auf der staatlichen, sondern auf der Plattformebene bestimmt.

Natürlich ist es reine PR, wenn Cameron, Obama und de Maizière auf die terroristische Bedrohung verweisen, um Verschlüsselung zu regulieren. Terroristen und organisierte Kriminelle konnten schon immer auf die volle Bandbreite der Cryptotools zugreifen und können das auch weiter.

Der Move der großen Drei ist eher ein Gamechanger in die oben skizzierte Richtung. Eine Milliarde von ende-zu-ende-verschlüsselter Kommunikationen entreißt den Nationalstaaten einen enormen Brocken an Rechtsdurchsetzungsmacht. Nicht gegenüber den Terroristen, sondern gegenüber dem täglichen Every-Day-Enforcement des staatlichen Gewaltmonopols im Internet.

Es geht um die Kids auf dem Schulhof, die Serien und Songs per WhatsApp tauschen. Es geht um Kleinkriminelle, die sich zum Autoklauen koordinieren – und ja, um Aktivist/innen die Aktionen und Demos organisieren. Es geht um den Drogendealer von nebenan und den Versicherungsbetrug des Nachbarn. Es geht um versteckte Transaktionen, Korruption und die kleine Verschwörung, denen gegenüber nun ein Rechtsdurchsetzungsdefizit klafft. Das alles scheint noch recht unwichtig und hinnehmbar. Aber in der Masse summiert es sich auf einen riesigen Batzen auf, der die Strafverfolgungsbehörden nun panisch zurücklässt.

Vor ein paar Jahren schrieb ich in meiner SPEX-Reportage über das Darknet:

„Doch die Technologien des Darknet, so unvollkommen sie sein mögen, stehen wie ein Versprechen im Möglichkeitsraum der digitalen Zukunft. Oder – je nachdem wie man es sehen will – als eine Drohung. Es gibt immer einen Weg, es wird immer einen Weg geben. Der mögliche Kontrollverlust, den ein starkes Darknet bedeuten würde, wird den politischen Diskus über das Internet disziplinieren. Das jedenfalls ist meine Hoffnung.“

Die Drohung ist wahr geworden. Das Darknet in einer Light-Version – so kann man die vollverschlüsselte Kommunikation der Plattformanbieter nennen – wird jetzt als Reaktion gegenüber dem überboardenden Kontrollanspruch der Staaten Mainstream. Es wird schicker und benutzerfreundlicher als die Tor-Hidden-Services (dafür ohne Anonymität) und es wird betrieben von großen, kapitalistischen Konzernen. Der Effekt wird dennoch enorm.

Und ist das jetzt … gut?

Aber ob das jetzt eine gute Idee ist, wird für mich immer fraglicher: Tante hat seine Bedenken artikuliert aber vor allem hat David Golumbia bereits 2013 gedanklich durchgespielt, was eine vollverschlüsselte Kommunikationswelt bedeuten würde:

Full encryption would make hiding it standard, and make law enforcement something between difficult and impossible. The basis on which that happens is the assertion by cyberlibertarians that they are not subject to the laws that constitute our society. We should be having a thick and robust discussion about these problems, not just presuming that it is fine to opt out of citizenship obligations if you have the technical means to do so.

Und damit sind wir bereits in dem Dilemma, in das ich beim Buchschreiben gekommen bin und das dem gesamten zweiten Teil eine zauderhafte Unentschlossenheit bescherte. Ich bin mir zwar sicher, dass die Transition hin zu den Plattformen in den derzeitigen Gegebenheiten unvermeidbar, gewissermaßen auch sinnvoll ist. (Wir brauchen internationale Strukturen, die nicht-rivalisierend und agiler sind – weniger Ordnung vorgeben, als vielmehr Ordnung ermöglichen, etc.) Aber ich bin nicht so sicher, ob das nicht auch eine enorm gefährliche Entwicklung ist und wie man damit – als Zivilgesellschaft – am besten umgeht.

Am besten wird man der Komplexität dieser Frage gerecht, wenn man mit verschiedenen politischen Brillen auf diese Entwicklung blickt:

1. Blick: Etaisten plädieren gewöhnlich für eine Rückgewinnung des Zepters an den Staat. Für sie ist die Machtverschiebung durch das Internet nur eine vorübergehende Episode, der es entgegenzuwirken gilt. Konservative bemühen dafür meist die Floskel des „rechtsfreien Raumes“, der das Internet sei, Sozialdemokraten sprechen vom „Primat der Politik“, das zurückzuerobern sei. Dafür gibt es unterschiedliche Strategien: Manche wollen Plattformanbieter Schwächen, indem sie sie per Kartellrecht zerschlagen, oder ihren Einfluss durch staatliche Regulierung sonstwie einschränken. Andere gehen weiter, sprechen sich für eine renationalisierung des Netzes aus: Wenn wir internationale Plattformen nicht regulieren können, dann brauchen wir eben Abschottung und nationale Anbieter ähnlicher Dienste. Heimliches Vorbild ChinaNet. Andere wiederum sehen in den Plattformen sogar die Chance, das Recht über sie durchsetzen zu lassen, sie quasi als private Hilfssherrifs zu rekrutieren und nehmen damit in kauf, dass sie durch die sich daraus ergebenden Jurisdiktionskonflikte das Konzept Nationalstaat noch weiter schwächen. Alle diese Konzepte werden heute schon ansatzweise verfolgt und umgesetzt. Ich sehe in keiner von ihnen eine Zukunft. Manche dieser Strategien werden die Entwicklungen etwas verlangsamen, andere werden den Machtverlust der Nationalstaaten sogar beschleunigen, manche, wie Ideen der renationalisierung des Netzes halte ich für extrem gefährlich, gerade für die Zivilgesellschaft.

2. Blick: (Techno-)Libertäre Kräfte stimmen mir in der Diagnose, dass die Nationalstaaten sich aus der Internetregulierung bitte raushalten sollen, größtenteils überein. Sie sehen aber genau so ein großes Problem in den Konzentrationsprozessen durch die Plattformen. Sie würden auch ihnen gerne so weit wie möglich jede Regulierungsmacht entziehen. Politische Prozesse aufzubauen, Plattformlobbying zu betreibe, wie ich es in meinem Buch vorschlage, fänden sie höchst suspekt. Sie würden vermutlich auf dezentrale Social Networks setzen, die sich mit einem Höchstmaß an Ende-zu-Ende-verschlüsselten, anonymen Verbindungen jeglicher externer Kontrollgewalt entziehen.

Ich habe – wie auch in meinem Buch deutlich wird – eher den 2. Blick, allerdings mit einem Schuß mehr Realismus. Ich halte unreglementierte Kommunikationsräume zwar erstmal grundsätzlich eine gute Idee. Auch mein Konzept der Plattformneutralität ist in diesem Sinne ein techno-libertäres Konzept, das zwar einerseits dem Plattformparadigma statt gibt, dann aber eben Herrschaftsfreiheit als anzustrebende Benchmark und politischen Wert verankert. Wenn ich mein Buch zwei Jahre früher geschrieben hätte, wäre es sicher ein sehr viel reinerer, technolibertärer Wurf geworden.

Ich sehe die Dinge aber heute deutlich anders. Verändert hat diese Sicht nicht die Enthüllungen von Edward Snowden – im Gegenteil – die haben meine techno-libertäre Grundstimmung eher erneut befeuert. Nein, verändert hat sie das Internet selbst und seine Akteure – die Zivilgesellschaft. Ich sah über lange Zeit, wie rechtsradikale Blogs sprießen und immer größere Erfolge einstrichen. Ich habe den Aufstieg der maskulinistischen Szene mitverfolgt – und ihren Hass selbst miterlebt. Ich habe gesehen, wie Menschen für Meinungen gemobbt, fertiggemacht und erfolgreich zum Schweigen gebracht wurden. Einige Freude und Freundinnen von mir wurden Opfer von Stalkern und einige wurden Opfer von Hetz- und Verleumdnungskampagnen. Ich habe Mord- und Vergewaltigungsaufrufe gegen Freundinnen gelesen und miterlebt, wie Facebook eines der wichtigsten Organisationstools für die Pegida-Bewegung wurde. Ich sah die Aktionen von Anonymous und GamerGate und ich surfte an den Waffenhändlern, Auftragsmördern und Kinderpornographen im Darknet vorbei. Ich habe erlebt, wie die totale Freiheit von Kommunikationsräumen das schlimmste im Menschen hervorbringt und so andere ausschließt.

3. Blick: Ich glaube an jetzt die Notwendigkeit von zumindest irgendeiner Form von Regierung. Zumindest vorübergehend. Oder wie Golumbia es ausdrückt: „In order to have a relatively free society, we cannot have absolutely free individuals.“ Ich glaube immer noch nicht daran, dass es eine gute Idee ist, den Staat – die Staaten – in vollem Maße zu beauftragen. Ich glaube aber auch, dass es ein Problem ist, die Plattformanbieter mit dieser Macht auszustatten. Aber ich weiß, dass auf kurz oder lang kein Weg daran vorbei führt.

1. Ich denke, der Staat/die Staaten sollten ihre bisherigen Befugnisse weiterverfolgen und justitiables – sofern es ihnen möglich ist – inländisch und mithilfe ihrer gegebenen Tools verfolgen. Wenn das nicht möglich ist, dann müssen wir diese Rechtslücke eben so hinnehmen.
2. Ich glaube, dass Plattformanbieter mehr Verantwortung übernehmen sollten, mehr eingreifen, mehr moderieren, bestimmte Entwicklungen hemmen, bestimmte andere fördern sollen. Plattformen müssen in gewisser Weise ihre Neutralität aufgeben und Haltung zeigen und ihr entsprechend handeln und Policies aufstellen und durchsetzen.
3. Ich weiß aber gleichzeitig, dass die mit der Verantwortung einhergehende Macht ein beträchtlicher Risikofaktor ist. Wir sollten nicht bedenkenlos Kompetenzen zu den Plattformen schieben, sondern uns immer im Klaren darüber sein, dass wir hier einem Regime stattgeben. Dafür braucht es wiederum Plattformeigene Institutionen für Partizipation und Kontrollmöglichkeiten.
4. Ich gehe sehr fest davon aus, dass wir langfristig dezentrale Politiken und Formen zivilgesellschaftlicher Gewaltausübungen finden können und müssen, um uns von zentralistischen Plattformen zu emanzipieren. Wir können den Einfluss zentraler Plattformen langfristig nur genau in dem Maße zurückdrängen, wie wir es schaffen ein dezentrales Regime lebenswerter Verhältnisse zu schaffen. Ohne das, wird jede libertäre Utopie zum Alptraum der Schwächeren. Wichtig dabei könnte die Filtersouveränität werden, wie ich sie im Buch und im letzten Blogspost beschreibe.

Fazit

Ich denke, der Vorstoß der Konzerne könnte ein Weg sein, den wir jetzt beschreiten müssen. Wir würden damit die Geheimdienste aussperren, aber vor allem auch die Strafverfolgungsbehörden. Die Plattformanbieter würden sich ein großes Stück von den Staaten emanzipieren und und gleichzeitig würden auch wir uns jeglichem Kontrollanspruch entziehen (Wenn auch um den Preis, dass wir unsere Abhängigkeit zu den Plattformen steigern). Das größte Problem sehe ich tatsächlich im Machtvakuum, das in diesem Darknet light dann entsteht und inwieweit es für den/die Einzelne auch zum Alptraum werden kann. Ich denke dennoch, dass wir das versuchen müssen.

Es kann natürlich auch ganz anders kommen und die Konzerne knicken vor den Regierungen ein, oder ein amerikanisches/deutsches/europäisches Gesetzt wird verabschiedet, dass Schlüsselweitergabe vorschreibt, Key Escrow wird bei allen Plattformanbietern implementiert und wir setzen die Behörden mit jeder verschlüsselten Kommunikation CC. Am Wahrscheinlichsten wird sein, dass sich hier ein netzpolitisches Schlachtfeld ergeben wird, in dem sich Zivilgesellschaft und allem auch die Konzerne zu unvorhersehbarer Mobilisierungskraft gegen den Staat zusammenschließen könnten. Die nächsten Wochen werden sehr interessant. Es gibt einige spannende Fragen:

  • Wie erfolgreich schaffen es die Regierungen angesichts des Vertrauensverlusts durch Snowden, die rechtstaatliche Besonnenheit der geplanten Abhörpraxis glaubhaft zu machen?
  • Wie weit werden die Konzerne auf Konfrontationskurs mit den Regierungen in dieser Frage gehen? Werden sie gleich einknicken oder kämpfen?
  • Werden die Plattformen ihre Publizitätsmacht einsetzen, um ihre Nutzer/innen für die Verschlüsselung zu mobilisieren?
  • Auf welche Seite schlagen sich die klassischen Medien in dieser Frage. Snowdenhype und Informant/innen-Schutz vs. Rechtsstaatsmacht und Anti-Google-Einstellung?
  • Wie werden die Kund/innen reagieren? Ist ihnen dieses Cryptozeug egal, oder finden sie es wichtig? Wenn sie es erst haben, lassen sie es sich wieder wegnehmen?
  • Wie werden die Hacker und Netzaktivist/innen reagieren, wenn sie merken, dass die Politik gar nicht ihr PGP verbieten, sondern „nur“ Mainstreamcrypto verhindert will? Werden die ihren Stolz überwinden und für WhatsApp-Verschlüsselung kämpfen, obwohl das nicht Open Source ist und sie Facebook für böse halten?

So oder so: Die Transition schreitet voran und Machtgleichgewichte werden zwangsläufig aus den Fugen geraten. Halb beängstigt, halb hoffnungsvoll schau ich dem Geschehen zu. Das Einzige, was ich derzeit tun kann, ist die Naivität von allen Seiten zu bekämpfen.


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Filtersouveränität als Politik

Im zweiten Teil meines Buches, in dem ich die Strategien in Zeiten des Kontrollverlusts entwickle, geht es häufig um die sogenannte „Filtersouveränität„. Also die Souveränität zu entscheiden, über welchen Mix von Quellen ich mich informiere aber auch wie ich mich vor unliebsamen Informationen abschotte.

Leider hat in dem Buch eine Strategie der Filtersouveränität keinen Platz gefunden: Die Filtersouveränität als Politik. Das will ich hier – auch aus aktuellem Anlass – nachholen. Der Einfachheit halber nehme ich meine eigene Politik der Filtersouveränität zum Beispiel.

Twitter ist seit 2007 die Schaltzentrale meines gesamten Onlinewirkens. Hier investiere ich nach wie vor die meiste Aufmerksamkeit, hier laufen die meisten Informationsstränge zusammen und hier gebe ich auch die meisten Informationen weiter, die mich bewegen. Auch wenn ich hier und da damit hadere, bleibt Twitter meine Onlineheimat – nein, noch viel mehr: es ist die Erweiterung meines somatischen Nervensystems ins Internet hinein. Jedes Following ist ein Rezeptor, der mir neuronartig Impulse aus dem Informationsstrom sendet, den wir Welt nennen. Jeder dieser Rezeptoren ist einzigartig und reagiert auf verschiedene Informationssarten auf unterschiedliche Weise.

Wie ich folge

Wenn ich jemandem folge, bedeutet das erstmal nur, dass ich mich dafür interessiere, was die Person zu sagen hat. Es bedeutet nicht, dass ich ihrer Meinung bin oder sie gar mag. Natürlich folge ich Freunden (denn mich interessiert, was sie zu sagen haben), dennoch ist Sympathie weder ein hinreichendes, noch ein notwendiges Kriterium. Natürlich hat die Auswahl meiner (aktuell) 775 Followings starke Biases, denn sie spiegeln meine Interessen wieder. Dennoch kann ich sagen, dass sie eine recht großes Spektrum abbilden. Ich folge vielen Leuten, deren Meinungen ich explizit nicht teile. Ich folge zum Beispiel sehr, sehr vielen Datenschützern und Hacker-Aluhüten. Denn das ist der Diskurs, in dem ich stecke und sie haben oft sehr gute Links zu Informationssicherheit und Gesetzesvorhaben und ich interessiere mich für ihre Argumente. Ich folge auch Konservativen bis – aus meiner Sicht – reaktionären Leuten. Ich folge Kai Diekmann. Ich folge zu einem größeren Teil natürlich Linken, bis Linksradikalen. Natürlich folge ich Feminist/innen, Anarchist/innen, sowie Libertären und Kommunisten/innen. Ein, zwei Piraten sind auch noch dabei. Einen neokonservativen Ayn Rand-Fan musste ich wieder entfolgen, das war nicht auszuhalten. Dazu kommen natürlich einige ausländische Twitteraccounts, die meisten aus der amerikanischen Tech-Szene, aber auch Aktivist/innen aus Syrien und Ägypten sind dabei.

Das ist keine komplette Aufschlüsselung der Welt und der möglichen Sichten dadrauf (das kann ein Bewusstsein auch nicht leisten), aber ich finde es ist eine veritable Bandbreite des Meinungsspektrums. Es ist darauf optimiert mittels möglichst unterschiedlicher Rezeptoren, möglichst diverse Sichtweisen und Perspektiven zu einem komplexen Bild der Welt zu aggregieren.

Wie ich blocke

In meinem Buch nenne ich dieses bewusste Aussuchen der eigenen Informationsquellen „positive Filtersouveränität“. Ihr stelle ich die „negative Filtersouveränität“ zu Seite – die Souveränität zu entscheiden, welche Informationen ich nicht an mich heranlassen will. Das sind natürlich zunächstmal die vielen Millionen Twitteraccounts, denen ich nicht folge. Aber im Sinne einer souveränen Entscheidung sind es vor allem die Accounts, die ich blocke.

Auf Twitter ist man leicht jederzeit ansprechbar. Das ist in vielen Fällen toll, senkt die Hürden der Kommunikation und fördert den Austausch; es kann aber ab einer bestimmten Reichweite sehr anstrengend werden. Ich habe regelmäßig auch mit Leuten zu tun, deren Kommunikation mich nicht interessiert, die aber finden, das müsste sie. In einigen Fällen blocke ich die User dann. Das passiert meist bei der ganz normalen Trollerei, kann aber auch – je nach Laune – schon bei unfreundlich vorgetragenen Anliegen passieren.

Es passiert auch sehr häufig bei Ideologien, die ich entschieden ablehne, weil ich sie für menschenverachtend halte. Ich Blocke Leute, die mir mit rassistischen, nationalistischen, oder maskulinistischen oder Homosexuell-feindlichen Argumentationen kommen. Ich rede nicht mit Nazis und ich rede nicht mit Maskus – die Blocke ich wortlos weg, denn ich sehe keinen Sinn darin mit ihnen über irgendwas zu diskutieren. Weder interessiert es mich, was sie zu sagen haben, noch glaube ich daran, dass man diese Leute aus ihrem Muster mittels rationaler Argumentation herauslösen kann. Das einzige, was man tun kann, ist diese Menschen auszugrenzen, so gut es eben geht – auch wenn das immer schwieriger wird.

Man kann also festhalten: Beides, das Folgen und das Blocken sind in der Praxis bereits Politiken der Filtersouveränität. Jedes Folgen und jedes Blocken ist auch ein politisches Statement und es ist wichtig, sich das bewusst zu machen. Sie sind (kleine) politische Entscheidungen und sie haben (kleine) politische Auswirkungen. Sie summieren sich auf in eine persönliche und durch und durch politisch durchwirkte Informationsinfrastruktur.

Ethik des (Nicht-)Teilens

Leitmedium hat in einem bemerkenswerten Blogpost einmal die Ethik des (nicht)Teilens vorgeschlagen, die – wie ich finde – sehr mit der Filtersouveränität als Politik kompatibel ist. Er findet, es liegt eine unterschätzte ethische Verantwortung darin, welche Inhalte man teilt, also weiterverbreitet und welche nicht. Dass beispielsweise die Nacktfotos von den Prominenten 2014 erhackt wurden ist ohne Frage ein Verbrechen. Diese Fotos aber weiterzuverbreiten, weil sie einem in den Stream rutschen, ist ebenfalls moralisch zu verurteilender Akt, dem sich viele nicht bewusst sind.

Denn hier wird die persönliche Informationsinfrastruktur politisch in einem übergeordneten Sinne. Um sich das zu vergegenwärtigen ist es wichtig, sich seine eigene Stellung als Knoten in einem Netzwerk vorzustellen. Denn meine Twitterverfolgungen sind nicht nur die ins Internet erweiterten Rezeptoren meines somatischen Nervensystems, sondern ich bin ja – umgekehrt – ebenso der Rezeptor vieler tausend anderer Nervensysteme. Und als dieser Rezeptor stehe ich jedes mal vor einer ethischen Entscheidung eine Information weiterzugeben, oder es eben nicht zu tun. Diese Verantwortung ist immanent politisch; und gerade mit dem Blick auf das große Ganze – das Netzwerk – steckt in ihr die Möglichkeit einer weiteren Politik.

Die Politik der aktiven Ausgrenzung

„Don’t feed the trolls“ ist der übliche Ausspruch, den man zum Umgang mit Störkommunikation zu hören bekommt. Er ist uralt und er ist nach wie vor auch nicht komplett falsch. Man macht die Sache nie besser, wenn man anfängt mit Trollen zu diskutieren. Aber „Don’t feed the trolls“ reicht schon lange nicht mehr aus. Einerseits hilft einfaches Ignorieren in vielen Fällen nicht mehr aus, andererseits können beispielsweise Hetzjagden und Verleumdungskampagnen dem/der Betroffenen auch über Bande enormen Schaden zufügen.

Und hier sind wir bei „Don Alphonso“. Don Alphonso kann man nicht ignorieren, denn er verbreitet regelmäßig Lügen, Verleumdungen gegen bestimmte Personen und veranstaltet regelrechte Hetzjagden auf Linke und Feministinnen. Ich hab das mal an einem Fall exemplarisch herausgearbeitet.

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch. Die Welt und das Netz wären ein besserer Ort ohne ihn. Solche Leute zu ignorieren, nicht mit ihnen zu sprechen, ist sicher sinnvoll. Aber es hält sie nicht davon ab, das zu tun, was sie tun. Nun ist Don Alphonso aber nun mal da und wir müssen mit der Situation umgehen. Es müsste eine Möglichkeit geben, seine Wirkung im Netz zu reduzieren.

Und zu diesem Zweck habe ich mir das Konzept der „aktiven Ausgrenzung“ ausgedacht. Sie fußt einerseits auf Leitmediums Ethik des Nichtteilens und kombiniert sie mit der Filtersouveränität. Es ist eigentlich eine einfache Policy: Ich entfolge allen, die Don Alphonsos Inhalte teilen, seien es Retweets, Links auf seine Texte, alles. Don Alphonso-Content wird von mir zum Tabu erklärt, auch dann, wenn er mal etwas zustimmungsfähiges schreibt. Dieses Tabu muss hin und wieder natürlich öffentlich proklamiert werden und das Entfolgen muss vor allem auch konsequent durchgesetzt werden.

Und nein, das ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit: Es heißt nicht, dass man Don Alphsono nicht lesen darf. Man darf ihm auch zustimmen. Aber wer seine Inhalte öffentlich teilt, ist eben – bei mir – raus. Zudem beschränke ich das aktive Ausgrenzen auf nur wenige, extreme Quellen. Ich halte auch die BILD und Fefes Blog für dumm und arschlochhaftig. Leute, die diese Medien konsumieren und Teilen kann ich schwerlich ernst nehmen und denke mir meinen Teil. Aber sie fallen nicht unter meine Policy. Die Policy gilt für Don Alphonso, den Faschos von der Zusecrew bei den Piraten und dann noch für NPD, AFD, PeGiDa, Pro Deutschland und alle anderen Rechtspopulistischen bis nationalsozialistischen Verbände und Parteien. (Aber bei denen ist das sowieso klar und weitestgehend Konsens.)

Ich praktiziere diese Policy jetzt seit etwa einem Jahr und sie durchzusetzen ist oft hart, man verliert dadurch einige liebgewonnene Followings. Aber sie ist auch effektiv. Nicht nur, dass viele diese Policy ebenfalls für sich reklamieren und umsetzen, die Wirkung ist insgesamt spürbar. In meiner Timeline waren Don Alphoso-Links lange Zeit praktisch verschwunden. Ich kann nicht sagen, ob sich das bei Don Alphonso auch zahlenmäßig bemerkbar macht (ich würde es mir wünschen), aber darum geht es nicht in erster Linie. Schaut man in seine Replys an, kommen die jetzt schon fast nur noch von Maskus und den Zuse-Faschos. Er wird mittlerweile von fast allen intelligenten Menschen ignoriert. Klar, das hat er sich größtenteils zwar selbst zuzuschreiben, aber ja, das führe ich auch auf die Politik der aktiven Ausgrenzung zurück.

Bis vor kurzem klappte das auch ganz wunderbar, bis – und hier kommt der aktuelle Anlass – gestern eine Diskussion dazu auf Twitter entbrannt ist. Einige meinten leider die Policy aus Prinzip (wahrscheinlich weil: Meinunsfreiheit!!11) herausfordern zu müssen. Das ist schade. Ich wünsche mir einen breiten Konsens – egal ob Post-Privatier/in, Datenschützer/in, Hacker/in, Netzaktivist/in, Netzgegner/in, Journalist/in, Blogger/in oder Bildzeitungsleser/in, dass wir – genau so wenig, wie wir die NPD verlinken würden – nicht Don Alphonso verlinken. Und zwar egal was er schreibt. Oder wie ich es gestern auf Twitter ausgedrückt habe:


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My Book: Digital Tailspin – Ten Rules for the Internet After Snowden

Bildschirmfoto 2015-03-11 um 14.23.25Privacy, copyright, classified documents and state secrets, but also spontaneous network phenomena like flash mobs and hashtag revolutions, reveal one thing – we lost control over the digital world. We experience a digital tailspin, or as Michael Seemann calls it in this essay: a loss of control or Kontrollverlust. Data we never knew existed is finding paths that were not intended and reveals information that we would never have thought of on our own. Traditional institutions and concepts of freedom are threatened by this digital tailspin. But that doesn’t mean we are lost. A new game emerges, where a different set of rules applies. To take part, we need to embrace a new way of thinking and a radical new ethics – we need to search for freedom in completely different places.

 

You can order a free copy here!

* Digital Tailspin – Ten Rules for the Internet After Snowden is basically the second part of my German book, „Das Neue Spiel“. The central idea of both books is that the digitalization of the world has changed the basic mechanics of how things work, i.e., society. The main issue: We cannot control the flow of data and information in the way that we used to. The „Digital Tailspin“ is the translation of the second part, where I summarize the main contents from the first part in the form of „rules“, and different design strategies to cope with these rules.
I’m very grateful to Anwen Roberts for the translation. Many thanks go to Miriam Rasch, who edited the book, and of course to Geert Lovink, who made all this possible. The English edition is one of the stretched goals adopted during the Crowdfunding campaign.


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