Hier ein kleiner Nachtrag zu meinem Vortragstext auf Telepolis. Worum es mir am Ende vor allem ging, ist leider nicht in seiner ganzen Tragweite rüber gekommen, wie mir scheint. Dewegen hier noch mal eine gesonderte Behandlung.
Der Kontrollverlust und die damit einhergehende Machtakkumulation der Query nehmen uns einige Gewohnheitsprivilegien wie informationelle Selbstbestimmung und andere scheinbare Autonomien. Andererseits eröffnen sie ganz neue emanzipative Potentiale, nämlich – so meine These – die gesellschaftliche Organisation ohne Organisation. Und das heißt eben auch die Emanzipation von der Gängelung der Institutionen, eine Welt ohne Hierarchien und ohne den Zwang sich in allen Fragen des Politischen mit der Gruppe einigen zu müssen, in deren geographischen Bannkreis man schuldlos hineingeboren wurde. All das wird uns die technologische Query bringen, so die These.
Das ist nicht so ganz utopisch und abstrakt wie es vielleicht scheint. Denn wir können Beispiele für die per Query organisierten gesellschaftlichen Prozesse schließlich schon heute beobachten und ihre Funktionsweise studieren.
Nehmen wir den Immobilienmarkt. Man hatte lange Zeit die Möglichheit über regelmäßiges Studium der Zeitung und/oder durch Beauftragung eines Maklers an eine Wohnung zu kommen. All das verschlang eine Menge an monetären und nichtmonetären Transaktionskosten, setze eine Hierarchie und ein Regelwerk zwischen mir und dem Vermieter in Kraft und war in seiner Effektivität eher unbefriedigend.
Seit freie Wohnungen und deren potentielle Mieter sich auf Plattformen treffen, können die Interessierten ihre Query sehr zielgenau auf ihre Wünsche konfigurieren und diese scannt für sie die hereinkommenden Wohnungen, matcht sie mit den Bedüfnissen und schlägt die Wohnungen gegebenfalls vor. Keine Frage, eine Wohnung ist prinzipiell einfacher geworden (von der Lage auf den jeweiligen Wohnungsmärkten mal abgesehen).
Die Macht der Query allerdings ist vor allem dadurch eingeschränkt, dass sie darauf angewiesen ist, dass die entsprechenden Daten, auf die sie angewendet wird, auch zur Verfügung stehen. Konkret:
1. Es gehen nicht alle Wohnungsangebote auf der Plattform ein.
2. Es werden diese Wohnungsangebote oftmals nur unzureichend mit Daten unterfüttert. (Badewanne, ja/nein, Balkon ja/nein), etc.
Ein anderes Beispiel ist die Freundesliste auf Social Networks. Ich pflege immer noch ein Adressbuch, dabei wäre das unnötig. Ich habe (fast) alle meine Kontakte in dem einen oder anderen Social Network. Wenn sich ihre Daten verändern, müßte ich eigentlich nicht mehr hingehen und den Eintrag per Hand korrigieren, wenn jeder seine Kontaktmöglichkeiten auf dem Laufenden halten würde. Aufgabenteilung wäre folgende: Ihr haltet eure Daten bereit, meine Query fasst euch zu meiner Kontaktliste zusammen.
Es gibt einige wenige Leute, die bereits ihre Kalander auf Google sharen (auch ich gehöre bislang nicht dazu). Wenn man als Außenstehender (oder auch Freund) einen Termin vereinbaren will, braucht es dann kein umständliches Hin-und-her-Gevorschlage mehr. Dann könnte – alle wensentlichen Daten vorausgesetzt – sogar die Query vollautomatisch Termine vereinbaren. Ein Schritt dahin ist immerhin doodle, das tatsächlich eine große Hilfe ist, obwohl es noch recht viel persönliche Interaktion verlangt – eben weil die Leute ihre Daten nicht vorher schon bereithalten.
Wenn ich also von der „Mächtigkeit der Query“ rede, dann klingt das immer wie eine Selbstermächtigung. Die gute, alte mcluhansche Erzählung von der Erweiterung des Selbsts durch die Auslagerung des Geistes in die mentalen Werkzeuge geht aber bei genauerer Betrachtung fehl. Wir erweitern uns nicht – die anderen erweitern uns.
Die Mächtigkeit meiner Query ist ganz wesentlich davon Abhängig, was andere an Informationen bereitstellen. Ich kann mich also nicht selbst ermächtigen, der Andere muss es tun. Nur durch seine Daten bin ich (sind wir gemeinsam) fähig, den Makler zu umgehen, umständliche Kommunikation zu vermeiden, mich einer Hierarchie und einer Institution zu verweigern und direkt mit dem Anbieter in Kontakt zu treten.
Und andersrum gilt ebenso: mit der Auslagerung von Daten ins Internet ermächtige ich mich nicht in erster Linie selbst, sondern den Anderen. Wenn ich private Dinge von mir Preis gebe, kann der Andere sein Selbstbild daran justieren. Oder mich per Query auf OKcupid matchen. Mit mir einen Termin vereinbaren, mich treffen. Oder, oder, oder.
Wo immer wir heute schon Querybasierte Organisation sehen, stellen wir fest, dass sie Daten braucht. Möglichst vollständige, möglichst normalisierte und standardisierte Daten. Die Query und ihre emanzipative Kraft wird sich nur in einer datengroßzügigen Umgebung entfalten. Dort, wo mit Daten geknausert wird, kommt die Query nicht weit. Wir würden uns weiterhin auf Makler verlassen müssen, wir werden weiterhin Adressbücher pflegen müssen und Termine umständlich abstimmen.
Das mögen momentan nur ein paar Unbequemlichkeiten sein. Aber wir stehen ja erst am Anfang. Sobald die Query und ihre Möglichkeiten sich ausweiten, geht es nicht mehr nur um bequeme Adressbuchverwaltung, sondern um Organisation von Gesellschaft im Ganzen. Die Vermittlung von Projekten, die Anbahnung von Sexualität, das Einfädeln von Geschäften, demokratische Prozesse, die Art, wie wir konsumieren, wohnen und so weiter. All diese Dinge werden früher oder später über Query abgeabreitet. Besser, schneller, flexibler, gezielter, effektiver, selbstbestimmter und freier als es bisher der Fall ist.
Es ist also die Filtersouveränität – besser, weil umfassender: die Querysouveränität, die sich hier wieder zeigt. Es ist das radikale Recht des Anderen, was die Gesellschaft von ihren eigenen Strukturen befreien wird. Noch ist es eine Geste, eine Ethik und vielleicht ein evolutionärer Vorteil, wenn man Daten preis gibt. Bald schon wird das eine sehr politische Frage, wenn die genannten Möglichkeiten in Reichweite kommen/bzw. die Leute sich beginnen so zu organisieren. Wer dann Daten zurückhält und damit überkomme Machtstrukturen stützt, wird bald sehr schal angesehen werden.
Ein Kommentar zu Nachtrag zur gesellschaftlichen Singularität