Immer, wenn ich ein Buch über ein Thema geschrieben habe, schläft mein Interesse für das Thema ein bisschen ein. Das ist ja auch verständlich, schließlich habe ich alles, was ich glaube, über das Thema zu sagen zu haben, schon gesagt. Da! Lies nach! Das gilt natürlich auch für das Plattformthema.
Natürlich kann es sein, dass etwas ganz neues passiert, das das bereits Geschriebene in Frage stellt. Das passiert gerade gewissermaßen hinsichtlich der AI-Revolution und da werde ich sicher auch noch mal was drüber machen, aber hier soll es um etwas anderes gehen. Nämlich um den Kampf der Mastodon-Admins gegen Metas Versuche, im Fediverse Fuß zu fassen.
Also, was ist passiert? Nachdem Elon Musk Twitter zu seinem persönlichen „Stürmer“ umfunktioniert hat, gab es mehrere Migrationswellen von Twitteruser*innen zum freien, protokollbasierten Mastodon. Daneben positionieren sich auch viele weitere Wettbewerber und buhlen um die Gunst tatsächlicher und potentieller Twitterexilant*innen. Und während die Welle gen Mastodon inzwischen ziemlich abgeebbt ist und sich eine gewisse Ernüchterung breit macht, setzten große Social Media Konzerne an, ihren Hut in den Ring zu werfen. Darunter Substack, Tumblr, Medium und Meta.
Interessanter Weise kündigten die letzten drei genannten allesamt an, das sogenannte ActivityPub-Protokoll zu implementieren, also das Protokoll, auf dem auch Mastodon basiert. Das bedeutet, dass diese noch zu launchenden Dienste alle in der Theorie mit Mastodon interoperabel wären, dass man also als User einer beliebigen Mastodoninstanz auch Accounts von den großen Playern abonnieren kann und umgekehrt. Die Gesamtheit aller über ActivityPub miteinander interoperablen Instanzen und Dienste nennt man dabei das „Fediverse“.
Die erste, verständliche Reaktion darauf ist natürlich, sich zu freuen. Dem etwas verschlafenen – böse Zungen sagen im eigenen Nerdsaft darbenden – Fediverse könnte so endlich der ersehnte Durchbruch gelingen. ActivityPub könnte tatsächlich zu einem universellen Standard der Social Media Kommunikation werden, so wie das Internet und das WWW ebenfalls als offene Standards die Welt eroberten. Die großen Silos würden aufgebrochen und niemand könnte mehr auf Kosten der Nutzer*innen neue Silos bauen, ohne sich inkompatibel mit dem großen Rest zu machen. Endlich wäre alles frei und offen und alle tanzen mit Blumen im Haar gen Sonnenuntergang.
Aber derzeit sieht die Stimmung auf Mastodon ganz anders aus. Es gibt eine Petition, die sich an Mastodon-Instanz-Admins wendet, sich dem der Umarmung von Meta zu erwehren. Als Mastodon-Admin hat man nämlich die Möglichkeit, andere Instanzen pauschal zu blocken, so dass die eigenen Nutzer*innen eben nicht in der Lage sind, den Nutzer*innen auf der geblockten Instanz zu folgen und es hat sich eine gewisse Unkultur im Fediverse entwickelt, davon aus der Hüfte heraus Gebrauch zu machen. Nicht falsch verstehen: ich bin ein großer Freund des Blockens. Aber auf individueller Ebene. Natürlich gibt es legitime Gründe auch ganze Instanzen zu blocken. Etwa, wenn es sich nur um Spam oder Nazis handelt. Aber häufig wird von dieser nuklearen Option schon gebrauch gemacht, wenn sich irgend ein User gegen einen anderen der eigenen Instanz mal blöd benommen hat. Egal, ich schweife ab.
Jedenfalls gibt es bei den Idealisten des Fediverse eine gewisse, durchaus verständliche Antipathie gegenüber den großen Social Media Unternehmen und dazu die Befürchtung, dass Meta mit seinen Ressourcen und seiner Netzwerkmacht das Fediverse gewissermaßen „übernehmen“ könnte. Das Stichwort ist „embrace, extend, extinguish„. Im Grunde unterstellt man Meta ein Playbook, bei dem es im ersten Schritt den offenen Standard umarmt („embraced“), ihn im Laufe der Zeit propietär mit neuen Features ausweitet („extended“) und schließlich durch Abschottung ausradiert, („extinguished“). Dieses Playbook wurde ende der 1990er Jahre Microsoft im Umgang mit dem WWW, unterstellt. Microsoft „umarmte“ das WWW und integrierte es schnell auf allen Ebenen seiner Produkte. Es schaffte es dazu den mit abstand populärsten Browser, den Internet Explorer, zu etablieren, mit weit über 90% Marktanteil. Und dann weitete Microsoft die Web-Standards unilateral und propietär aus, zum Beispiel durch Active Scripting, um es besser in sein Outlook und Office Paket zu integrieren (was vor allem zu Security-Alpträumen führte).
Es ist also nicht so, dass das ein irreales Szenario ist und dass Meta nicht genau das versuchen könnte. Ich selbst habe in meinem Plattformbuch genau diese Aneignungsstratgien (Ich nenne es Graphnahme) ein ganz eigenes Oberkapitel gegeben. Der „embrace, extend, extinguish“-Ansatz wird bei mir allerdings als „Integrationangriff“ abgehandelt.
„Beim Integrationsangriff geht es darum, den Graphen einer Plattform in die eigene souveräne Plattform zu integrieren, das heißt, ihn unter das eigene Kontrollregime zu bringen. Der Angriff gleicht dem Iterationsangriff, doch während der angegriffene Graph beim Iterationsangriff nur latent ist, ist er beim Integrationsangriff bereits ausgeprägt, und während beim Iterationsangriff die höhere Ebene beim Angriff erst erschaffen wird, ist sie beim Integrationsangriff bereits hegemonial. Das stellt den Angriff unter einige Erfolgsbedingungen: Erstens darf die angegriffene Plattform nicht ihrerseits über ein hohes Maß an Souveränität verfügen, und zweitens muss die Angreiferplattform bereits einen Fuß in der Tür haben und die eigene Hegemonie als Hebel benutzen können, um sie aufzustemmen.“
Die Macht der Plattformen, S. 180
Wir haben hier also eine Dilemma-Situation. Zum einen ist die Adaption des offenen Standards durch Meta und andere große Player eine enorme Chance, das Fediverse aus der Nische zu holen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass sich einer der großen, speziell Meta, die Plattform zu eigen machen könnte.
Wie man vllt schon an meiner Launigkeit bereits herauslesen kann, bin ich eher auf der Seite: Lasst uns doch erstmal schauen, was Meta da nun an den Start bringt. Das hat mehrere Gründe.
- Das Fediverse ist, so wie es momentan vor sich hin blubbert, extrem öde und auf die Dauer nicht überlebensfähig. (Die Probleme sind hier gut beschrieben) Wenn dein ganzer Pitch ist, nicht Elon Musk zu sein und irgendwas mit dezentral, dann wirst du halt auch nur eine paar idealistische Nerds versammeln. Nichts gegen idealistische Nerds – einige meiner besten Freunde sind welche – aber nur mit denen rumhängen ermüdet sehr, sehr schnell. Ja, ich wünsche mir dringend eine Mainstreamisierung des Fediverse und das geht nicht über fundamentalistische Rhetorik, sondern über slicke Userinterfaces und interessante Menschen. Ich finde den Dezentralisierungsaspekt auch gut und wichtig (dazu gleich mehr), aber er darf nicht als Hauptargument im Zentrum stehen. Am Besten sollten die Nutzer*innen davon gar nichts mitbekommen.
- Ich halte die Gefahr, die von Meta ausgeht, für überschätzt. In meinem Buch gehe ich alle möglichen Integrationsangriffe durch, angefangen bei AOL, das Anfang der 1990er versuchte, das Internet zu integrieren oder Facebooks kurze Liaison mit dem XMPP Protokoll. Natürlich behadel ich auch den Microsoft vs. WWW-Fall ausführlich. Ich kam beim Schreiben zu dem Schluss: „Ein weiteres Charakteristikum scheint hier auf: Integrationsangriffe gehen häufig schief.“ (DMdP S. 180) In der Tat war kaum ein erfolgreicher Integrationsangriff wirklich auffindbar. Auch dem Web hat die kurzzeitige Dominanz von Microsoft langfristig nicht geschadet. Im Gegenteil: Microsoft hat viel zur Mainstream-Adaption des WWW beigetragen und Features wie Ajax-Oberflächen, die das Web2.0 erfolgreich machten, wurden durch die Ruinen der kurzfristigen Microsoft-Herrschaft überhaupt erst ermöglicht.
- Und das ist der springende Punkt: Dezentralisierung, bzw. Protokollplattformen – bei aller Nerverei hinsichtlich Nutzerführung und Komplexität – funktionieren genau in dieser Hinsicht erstaunlich gut! Protokolle sind ziemlich robust gegenüber Vereinnahmung; das ist das, was die Geschichte zeigt. Gmail hat auch nicht E-Mail als Standard kaputt gemacht (manchmal wünschte ich, es hätte es getan). Das Internet, das WWW und sogar XMPP gibt es weiterhin und die Großplayer, die darauf aufsetzen, hören nicht auf, sich auszutauschen. Ist das nicht genau das, was wir haben wollen? Und entbehrt es einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die lautesten Fürsprecher der Dezentralität ihr so wenig zutrauen?
- Ein letzter Punkt: ich finde unilateral von Admins vorgetragene Pledges von wegen „Ich werde Instanz X blocken“ sowieso extrem undemokratisch. Wenn überhaupt, sollte es zu dem Thema eine User*innen-Befragung geben und daraufhin entschieden werden. Wäre ich Nutzer einer Instanz, die die Petition ohne vorherige Konsulatation der Community unterschrieben hat, würde ich schnell das Weite suchen.
Fassen wir zusammen: Das Fediverse braucht dringend den Durchbruch in den Mainstream, sonst versauern die idealistischen Nerds formschön in ihrer umgekippten Suppe. Will keiner sehen, will keiner riechen. Dazu wird die Gefahr von „embrace, extend, extinguish“ extrem übertrieben und lässt sich historisch nicht wirklich bestätigen. Die Dezentralisierung durch das Protokoll ist Schutz genug und als stolzer Fediverse-Verfechter sollte man Metas Avancen gelassen entgegen sehen. Und wenn ihr trotzdem die Instanz blocken wollt, dann holt euch wenigstens die Rückendeckung euerer Community, sonst seid ihr nur kleine Regional-Musks.
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