Es war etwas still hier in diesem Blog, ich möchte mich dafür entschuldigen. Ich könnte jetzt vor allem Zeitgründe für die längere Pause anführen (was auch stimmt), aber das ist nicht der Hauptgrund. Ich stand vor einer Herausforderung, die sich, seit ich dieses Blog zu schreiben begann, von Anfang an manifestierte und seitdem übermächtig über meinem Kopf schwebte und je weiter ich es aufschob, mich damit zu befassen, desto bedrohlicher wurde es.
Und es ist nicht so, als hätte ich das nicht versucht. Ich habe viel gelesen, mir noch mehr Gedanken gemacht und alle Szenarien immer und immer wieder durchgespielt. Aber egal wie viele Texte ich anfing, ich war jedes mal unzufrieden. Vor allem aus einem Grund: das Thema ist zu wichtig. Das Thema ist weit aus wichtiger als der „Zweite Markt“ und der Untergang des Informationsgeschäfts. Und manch einer machte mich schon darauf aufmerksam, dass das Thema auf jeden Fall erwartet wird. Ich will mich dem nun endlich stellen: dem Thema Datenschutz.
In meinem ersten Artikel, in dem ich die Richtung des Blogs in einer Art Missionstatement definierte, erklärte ich die Unumgänglichkeit des Kontrollverlustes. Ich erklärte ihn für unumgänglich, weil wir heute nicht wissen können, was Daten morgen sein werden. Dass jede Spur, die heute digital gelegt wird, morgen schon bereitwillig Aufschluss über etwas ganz anderes gibt. Dass jeder, der sich im Internet bewegt, also gar nicht „bewusst“ mit seinen Daten umgehen kann, denn das „Bewusstsein“ von heute reicht überhaupt nicht aus, diese Daten morgen zu schützen.
In einem weiteren Artikel habe ich anhand der Erfindung der „Relationalen Datenbank“ genauer analysiert, wo dieser neuerliche Kontrollverlust im Internet herrührt. Dass nämlich die digitale Technik Ordnung durch Algorithmen ersetzt, die die Strukturierung – und damit der Kontrolle der Daten – vom Sender in die Hände des Empfängers legt. In der „dritten Ordnung der Ordnung“ verteilt sich die Kontrolle um. Die neuen Möglichkeiten im Umgang mit Informationen des Lesers gehen auf Kosten der Kontrolle des Senders.
Die Frage nach dem Recht an Daten muss ehrlich verhandelt werden
Was den dort konstatierten Kontrollverlust der Verlagsbranche und der gesamten Contentindustrie ausmacht, das – so muss man leider zunächst feststellen – ist ein und die selbe Bewegung beim Schutz der persönlichen Daten. Je weiter die Entwicklung fortschreitet, desto weniger wird sich jemand noch sicher sein können, welche Information er wann und wem preis gibt. Und andersherum werde ich als Leser tendenziell alles wahrnehmen, aufbereiten, zitieren, retweeten, remixen und weiterverbreiten können, was ich will. Information ist frei, nicht weil wir es so wollen, sondern weil das Internet – diese große Kopiermaschine – ihr jeden Weg freipflügt, solange irgendein Interesse an ihr besteht.
Dass Christian Heller diese beiden Diskurse: Datenschutz und Urherberschutz auf eine Ebene hebt, hat also seine theoretische Berechtigung. Der vor allem vom CCC angestrebte Datenbrief hat die selbe Aufgabe wie das von der Verlagsindustrie angestrebte Leistungsschutzrecht. Weil die digitale Kommunikation es für den Absender unmöglich macht das weitere Vorgehen seiner „Message“ zu kontrollieren und weil es im Gegenzug dem Empfänger der Nachricht ungeahnte Verfügungsgewalt über sie gibt, muss – nach dem Willen von Datenschützern und Rechteinhabern – der Umgang mit diesen Daten verteuert werden. Beides wird damit begründet, dass man nur so die bestehenden „Rechte“ an den „Daten“ gegenüber bösen Webkommunisten auf der einen, und den bösen Privatsphärenkapitalisten auf der anderen sichern könne. Christian Heller ist es zu verdanken, diese Frage nach dem „Recht auf Daten“ in ihrer vollen Generalität und Radikalität gestellt zu haben. Um einen ehrlichen netzpolitischen Diskurs zu führen, sollte man so aufrichtig sein, diese Fragen nicht länger getrennt zu verhandeln. Der netzpolitische Diskurs wirkte bisweilen so, als ob wir Aktivisten uns bei der Entwicklungen des Internets nur die eine Seite herauspicken, die uns passt (freie Download- und Remix-Kultur) aber sofort laut aufheulen, sobald der Kontrollverlust uns selbst betrifft.
Und dennoch kann ich das Thema nicht einfach auf diese Weise abwickeln. Die Anforderungen und Verwicklungen, die das Thema Datenschutz betreffen, sind zu komplex und viel zu wichtig, als dass eine Analyse hier stoppen dürfte. Und dennoch sollte sie ehrlicher weise genau hier beginnen. Der Kontrollverlust ist absolut, unabänderbar und wenn wir zu einer guten, vielleicht besseren Gesellschaft kommen wollen, dann sollten wir ihn in allen unseren Gleichungen angemessen repräsentiert sehen und zwar überall und nicht nur dort, wo es uns passt.
Denn es ist nicht so, als würden wir hier über abstrakte Futurismen streiten, ob Utopie A denn nun wünschenswerter sei, als Utopie B. Es ist nicht so, als ob wir hier noch auf der Lichtung stünden und die Wahl hätten, ob wir nun links oder rechts abbiegen. Die Ära der Post-Privacy ist bereits voll im Gang. Fast die kompletten Kohorten der Minderjährigen sind bereits in Social Networks organsisiert, tauschen Fotos und persönliche Information als ganz normale Form der sozialen Interaktion. Der Verdacht liegt nahe, dass für sie so manche Spielart des Datenschutzes schon jetzt nicht mehr verständlich ist.
Schützt Identitäten statt Daten!
Auf dem gerade erst vergangenen Musikfestival mit angeschlossener Technologiekonferenz – SXSW – in Texas hat Danah Boyd eine vielbeachtete Keynote zu dem Thema Datenschutz gehalten. Mit Blick auf Eric Schmidts und Mark Zuckerbergs Äußerungen zum Ende der „Privacy“ begann ihre Rede mit dem kämpferischen Satz:
„No matter how many times a privileged straight white male technology executive pronounces the death of privacy, Privacy Is Not Dead.“
Ich finde diesen Satz, nicht nur wegen seiner Wucht, bemerkenswert. Er zeigt als erstes und am zentralsten, mit welchen Implikationen der Diskurs um den Datenschutz geführt werden muss. Dass man nämlich nur der Meinung sein kann, dass Datenschutz obsolet sei, sofern man folgende identitäre Eigenschaften besitzt: „privelegiert“, „heterosexuell“ und „männlich“. Wenn man sich in so einem identitären Mainstreamspektrum bewegt, ist es ziemlich egal, welche Informationen über einen öffentlich sind. Datenschutz wird so zu einer Notwendigkeit vor allem für abweichende, weniger privilegierte Identitäten. Die notwendige Kontrolle über die eigene Identität ist also der eigentliche tiefere Sinn von Datenschutz. Boyd erweitert deswegen die Privacy-Debatte um eine weitere Dimension. Neben PII- „Personally Identifiable Information.“ gehe es heute vor allem um PEI – „Personally Embarrassing Information“.
„Because most people are interacting online with people that they know, they expect to make PII available. They do so because they want to be found by friends. But they also want to keep PEI hidden, at least to those that might go out of their way to use it maliciously. Unfortunately, it’s hard to be visible to some and invisible to others.“
Das fasst den Kontrollverlust sehr exakt zusammen: „Embarassing“ bedeutet „peinlich„, „verfänglich„. Und weil Dinge für manche Identitätsebenen „embarrasing“ sind, für andere nicht, sind es die Mauern, Entfernungen und mangelnden sozialen Verknüpfungen, die die Aufenthaltsräume unter den Identitäten von einander abschirmbar machte und die im Internet so schmerzlich fehlen. Ich persönlich denke an das komische Gefühl, als meine Mutter mein erstes Blog entdeckte. Man weiß nie für wen man Informationen in’s Netz stellt, selten gibt es einen klaren Empfänger. Doch fast für jede Information lässt sich jemand benennen, gegenüber dem es unangenehm wäre, wenn er davon erführe.
Andererseits – und das ist ein wesentlicher Punkt, den Boyd hier auslässt, andererseits ist es genau diese PEI, die Personally Embarrassing Information, die es im Internet ermöglicht in welcher identitären Nische auch immer gleichgesinnte zu finden. Gerade dann, wenn man vom Mainstream abweichende Hobbys, sexuelle Vorlieben, seltene, medizinische Probleme oder sonstige von der Norm und dem Mainstream abweichende Eigenschaften hat, ist das Netz das ideale Medium um Gleichgesinnte und Menschen mit ähnlichen Problemlagen zu verknüpfen. Der Wunsch gefunden zu werden, ist auf der Ebene des PEI im Zweifel also noch ausgeprägter, als bei PII.
Heller führt eben diesen Effekt als den wesentlich sinnstiftenden Effekt des Netzes an:
„Die Sorglosigkeit, mit der Menschen inzwischen ihr Leben und ihre Eigenheiten der Welt offenbaren, darf nicht nur als einzudämmende Gefahr begriffen werden, denn sie schafft für Millionen von Menschen neue Kommunikations-Anlässe, Anknüpfungs-Punkte, Neigungs-Familien. Sie bricht die Isolation des Privaten auf und gibt denen ein soziales Echo, die vorher nie geglaubt hätten, Geistesverwandte zu finden.“
Die PEI ist es, die sich einerseits als die zu schützende Sphäre in der Debatte um den Datenschutz geriert und ist andererseits eben jener Usecase der menschlichen Konnektivität, auf der der Nutzwert des Internets am größten aufscheint. Und zwar gerade immer dann, wenn die Abweichung zum Mainstream am größten ist.
Die Verschaltung von Identität und Datenschutz ist deswegen bei Heller nicht nur thematisiert, sondern wird als die eigentliche Problematik benannt. Hier müsste aber auch die Lösung anzusetzen sein. Statt weiterhin identitäre Schutzräume zu fordern, in denen sich gerade die vom Mainstream abweichende Identitäten verstecken, bläst er zum Generalangriff auf die soziale Konstruktion der bürgerlichen Identität. Die Daten-Explosion des Internets lässt nicht nur Nischenidentitäten zueinander finden, sondern bringt die Gleichgewichte der identitären Einengung selbst ins Wanken.
„Wer ständig all seine tatsächlichen Fehler, Widersprüche, Idiosynkrasien, Persönlichkeitsspaltungen und Inkonsequenzen broadcastet, der kann nicht mehr in eine kohärente Identität gezwungen werden. Wenn das Millionen tun, erodiert das zugrundeliegende Bild des Menschen und seiner Planbarkeit: Die Gesellschaft muss ihre Erwartungen neu konfigurieren.“
Nun ist es aber wenig realistisch – selbst in den liberalsten Gesellschaften – auf ein Klima der bedingungslosen Toleranz von morgen zu hoffen. Ganz abgesehen davon, ob diese überhaupt einfach so praktikabel ist. Eine sofortige Aufgabe des Datenschutzes wäre vermutlich ähnlich gefährlich, wie von seinen Bewahrern behauptet. Enno Park formuliert die Befürchtung, dass sich Gesellschaften immer wieder von jeglicher Toleranz lösen kann und warnt, dass sich jede Eigenschaft, die heute noch als unbedeutendes Detail im Mosaik der Persönlichkeit durchgeht, schon morgen das Stigma einer neuen Welle der Ausgrenzung sein kann.
Identitätspolitik muss den Datenschutz flankieren
Aber ist es dann damit getan, auf diese und andere Bedrohungen oder die ganz normalen Intoleranzen mit der Oktroyierung von Datenschutzreglementierungen zu reagieren? Insbesondere, wenn man die Annahme zu Grunde legt – und ich bin der festen Überzeugung, dass das notwendig ist -, dass sich ein heutiges Verständnis von Datenschutz sowieso nicht halten lassen wird. Die Daten werden erodieren, sich verschalten und explodieren, sie werden sich auf Dauer jeder Beherrschbarkeit entziehen. Gleichzeitig werden sich jugendliche gerade durch ihre PEI finden wollen, sie werden gerade die intimsten Daten veröffentlichen in der berechtigten Hoffnung auf soziale Echos und dem Ausbruch aus der identitären Isolation.
Wir müssen aufhören, nur Daten schützen zu wollen und hinkommen zu einer Politik, die Identitäten schützt. Das können wir den Menschen zwar nicht abnehmen, aber was wir tun können, ist ihnen Tools in die Hand zu geben, mit denen sie ihre Identitäten verkomplizieren und Managen können, um mit ihnen aktiv von einander geschiedene Identitätsphären aufbauen zu können. Denn es ist und bleibt wichtig, dass sie sich untereinander vernetzen können und dabei geschützt bleiben. Jedenfalls so lange das noch möglich ist.
Kristian Köhntopp hat hier seine eigene Identitätspolitik in der Anlehnung an das klassische Marketing beschrieben. Er legt wert darauf, sein Bild in der Öffentlichkeit zu „ownen“. Und auch wenn sich diese bewusst künstliche Herangehensweise an Identität doch wieder an den klassischen Begriffen der Kohärenz und einer konzeptionellen Abgeschlossenheit orientiert, also ein gefälliges Bild von Identität vermittelt, so trifft es doch den Nagel auf den Kopf. Auch ich sah mich erst vor kurzem gezwungen, aktive Identitätspolitik zu betreiben, denn richtig ist, dass es auch weiterhin Abhängigkeiten gibt, die eine bestimmte identitäre Einengung implizieren.
Wir müssen also dafür Sorge tragen, dass die Welt die Möglichkeit einer maximalen identitären Zersplitterung bereit stellt und diese anonym mangagebar macht. Man müsste beispielsweise Facebook dazu zwingen, Accounts mit Nickname zu akzeptieren. Man müsste das Recht anpassen, dass es einem leichter macht, seinen Namen zu ändern. Identitäre Mehrgleisigkeit muss überall möglich sein, wo Abweichungen vom Mainstream – wenn auch nur theoretisch – sanktionierbar ist.
Identitäre Polymorphie und die Fähigkeit zur Ignoranz
Langfristig aber müssen völlig andere Tools her. Tools, die persönliche Daten und ihre daran hängenden Identitätskonzepte dem Sender aus der Hand nehmen. Wir brauchen Konzepte, die keine einheitlichen Wertemuster mehr zulassen. So wie es kein sinnvolle Sicht von außen auf ein Netzwerk oder in eine Datenbank gibt, sondern nur eine innere, selbst gestaltete Perspektive, so muss der Blick auf die Identität gewendet werden.
Die wichtigste Kulturtechnik im Internet ist das Ignorieren. Schaffen wir also Tools um uns besser ignorieren zu können. Im Ignorieren-können zeigt sich das wahre Potential einer Post-Privacy Gesellschaft und ihrer Fähigkeit zur Toleranz. Es sind noch viele Schritte dahin zu machen und auch wenn sich das jetzt bereits allzu Phantastisch anhört, haben wir nur wenig Zeit genau das umzusetzen.
Während nämlich die eine Seite des Kontrollverlustes sich rasant und bisweilen rabiat seinen Weg durch die Geschichte bahnt, kommen wir an der anderen, der emanzipatorischen Seite nur langsam voran. Das liegt auch daran, dass sich die emanzipatorische Seite oft genug gegen ein besitzstandswahrenden und auf bestehende Rechte klopfenden Status Quo durchsetzen muss. Um die Gesellschaft aber nicht in ein Unheil zu stürzen, muss diese Unwucht, die sich aus dieser Ungleichzeitigkeit ergibt, schnellstens behoben werden.
Das ist der tiefere Sinn dessen, was ich in meinem ersten Blogpost die „Plicht zur Utopie“ genannt habe. Sie ist die Aufforderung die Handlungsspielräume dort zu erweitern, wo die Potentiale des Netzes sie erweitern können, statt sie verzweifelt dort zu verteidigen, wo das Netz sie auf kurz oder lang unwiderruflich auf dem Müllhaufen der Geschichte befördert.
(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)
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