Heute kommt das neue iPhone raus. Ich weiß immer noch nicht, wie ich da ran komme. Ich kann nicht aufhören, unentwegt daran zu denken. Dabei habe habe ich Applejünger immer etwas verlacht. Jetzt bin ich selber einer. Und das Schlimmste: Apple ist die Antithese meiner theoretischen Arbeit hier.
Will man Argumente gegen meine Artikel zum Kontrollverlust finden, hat man es nicht besonders schwer. Eigentlich reicht das Wort: „Apple„. Da werkelt so ein Unternehmen aus Kalifornien vor sich hin, mitten in den Zeiten, die ich nicht Müde werde, mit dem Wort „Kontrollverlust“ zu labeln und ist unfassbar erfolgreich – nicht trotz, sondern wegen des exorbitanten Maßes an Kontrolle, das es auf allen Ebenen ausübt.
Apple ist ein Kontrollfreak in Unternehmensform. Egal ob Entwicklung, Fertigung, Distribution, Betriebssystem, Informationspolitik, oder Third-Party-Programme: Apple will nichts dem Zufall überlassen und nichts aus der Hand geben. Es will jeden Prozess, jede Schraube und jedes Programm unter der möglichst vollen Kontrolle haben. Der letzte große Schachzug in diese Richtung war der Kauf des Chipherstellers P.A. Semi mit dem sie nun auch wieder einen eigenen, voll auf die eigenen Ansprüche hin optimierten Prozessor designen können: den A4 – derzeit verwendet im iPad und jetzt eben für das neue iPhone 4.
An dieser Stelle könnte ich zu meiner Verteidigung nun etliche Kontrollverluste anführen, die Apple in letzter Zeit erleiden musste. Zuletzt, den spektakulären Fund des neuen iPhones in einem Biergarten. Ich könnte davon sprechen, dass es Apple eigentlich seit dem ersten iPhone nicht mehr gelang, die Applefans wirklich zu überraschen, weil mittlerweile so viele Details durch sickern. All das und noch viel mehr könnte ich hier aufführen, jedoch, es würde nichts an der Grundsituation ändern: Apple ist erfolgreich mit seinen von vorn bis hinten durch definierten Produkten.
Denn diese Produkte sind gut. Sie sind designt bis in’s kleinste Detail. Alles passt zusammen und ist in klarer Linie auf ein einziges Ereignis hin optimiert: der User Experience. Alles, was dem im Weg stehen könnte, wird gnadenlos weg rasiert. Dabei traut sich Apple immer wieder elementare Features wegzulassen. Egal ob 3G, Copy n‘ Paste, Video oder Multitasking. Diese Dinge kommen erst in das Produkt, wenn Apple eine Lösung gefunden hat, die ihren Ansprüchen an die User Experience genügt. Und tatsächlich schaffen sie es dann auch immer wieder, diese Dinge so anzubieten, wie es die anderen nicht können. Leichter zu bedienen, schneller, batterieschonender und einfach besser.
Apple fragt nicht, was die Technik kann, es definiert, was sie können muss. Apple definiert die Ansprüche und wartet und/oder entwickelt so lange, bis die Technik dieser Definition entspricht. Kontrollverlust? Vielleicht bei den anderen.
Am Montag hat der Bundestagsabgeordnete der FDP Jimmy Schulz als erster Abgeordneter eine Rede im Bundestag von seinem iPad abgelesen. Das ist in sofern brisant, weil im Bundestag ein Computerverbot herrscht. Das verwaltungsaktionistische Touvabou wegen einer solchen Lappalie mag einem befremdlich vorkommen. Die Frage, ob das iPad noch ein Computer ist, bleibt dennoch spannend.
Von vielen werden das iPad und das iPhone gar nicht mehr als Computer wahr genommen. Und das in einem positiven Sinn. Das iPad sei weniger ein Computer, denn ein für den Menschen gemachtes Informationswerkzeug. Und genau das ist auch Apples Strategie: das iPad und das iPhone sollen keine Computer im ursprünglichen Sinne sein. Es sollen Applegeräte sein: von Apple durch und durch definierte Geräte. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
Um diesen Unterschied zu erklären, wird es Zeit, den tiefer liegenden Spuren des Kontrollverlusts nach zu spüren. Wir müssen in einem kurzen Exkurs in das Herz des Kontrollverlusts hinab steigen, um die Macht der Undefiniertheit der Maschine zu verstehen, die Apple hier einzäunen möchte.
In „ON COMPUTABLE NUMBERS, WITH AN APPLICATION TO THE ENTSCHEIDUNGSPROBLEM“ (PDF) hatte Alan Turing 1936 eigentlich ein mathematisches Problem lösen wollen. Man wusste, dass bestimmte mathematische Funktionen in endlichen Schritten zu keinen Ergebnissen kommen können. Dennoch existieren diese Funktionen in der Mathematik in trauter Eintracht mit den Funktionen, die die durchaus berechenbar sind. Es gab aber keine mathematische Definition, diese beiden Arten von Funktionen zu unterscheiden. Die Frage, die Turing beantworten wollte, war also: wie können wir die Klasse der mathematisch berechenbaren Funktionen definieren und sie von den unberechenbaren scheiden?
Die Antwort, die er lieferte wird heute die „Turingmaschine“ genannt. Diese Maschine hat er nicht gebaut, sondern nur beschrieben. Sie ist ein rein theoretisches Konstrukt, aber liefert eine Antwort, auf die Frage: was ist berechenbar. Sie kann drei Dinge: Lesen, Schreiben und den Schreib/Lese-Kopf bewegen.
Turing zeigt in seiner Arbeit, dass diese theoretische Maschine alle mathematisch lösbaren Probleme in endlichen Schritten lösen kann. Was sie nicht lösen kann, gehört auch nicht in die Klasse der berechenbaren Probleme. Oder anders: diese Maschine ist die Definition aller mathematisch lösbaren Probleme.
Diese Definition steckt in Form des A4 nun auch im neuen iPhone. Sie steckt auch im iPad und in meinem Rechner, mit dem ich diesen Text schreibe. Turing hatte die Blaupause für den Prozessor geliefert, das Herz und die Grundlage eines jeden Computers.
(Deswegen ist es übrigens falsch, eine Geschichte des Computers beim Abakus, bei Leibniz oder bei Babbage anzusetzen. Das alles waren nur für bestimmte, vorher definierte mathematische Operationen gebaute Maschinen. Nette Ingenieurleistungen, sonst nichts. Der Computer fängt in und mit der Schrift von Turing an. Und wenn man umbedingt dafür einen Vorläufer finden will, dann sind eher die Erfindung der Sprache oder der Literatur zu nennen, die es an Universalität mit dem Computer aufnehmen können. (Denn letztlich ist es zweitens völlig unerheblich, ob die Turingmaschine nur aufgeschrieben oder tatsächlich gebaut wurde. Es gibt keine ontologische Differenz für symbolische Operationen. Die Turingmaschine war seit ihrer Niederschrift durch Turing genau so virtuell wie real und ist es bis heute – das merkt man nicht zuletzt an den „Virtuellen Maschinen“, die ihren Hostsystemen in nichts nach stehen. (Denn drittens wurde der Computer von Alan Turing eben nicht erfunden. Er wurde entdeckt. Der Computer – oder die universelle Maschine ist keine Erfindung wie die Dampfmaschine oder der Stuhl. Sie ist eine mathematische Entdeckung, ein universelles Prinzip. Sie ist und bleibt tausend mal mehr ein Prinzip als eine Technik. Der Computer ist somit nicht menschlichen Ursprungs. Ein Umstand, der häufig nicht bedacht wird, aber ganz wesentlich ist, wenn man all die Entwicklungen um den Computer oder das Internet verstehen will.)))
Der Computer ist also eine universelle Maschine. Er war es seit Turing, blieb es in seiner ersten Realisation als Zuse Z3 und er ist es bis heute. Eine Maschine, die jede Maschine – zumindest virtuell – nachahmen kann (was sie ja zunächst auch tat.) Eine Maschine aber auch, in der jede zukünftige und denkbare Maschine als Möglichkeit bereits enthalten ist. Eine Maschine von Babel also. Eine Maschine, deren Möglichkeitsfeld die Gesamtheit dessen ist, was sich informationell überhaupt prozessieren lässt.
2007 schaffte es der Chaos Computer Club in einem spektakulären „Hack“ die Firma NEDAP bloß zu stellen. Die Firma stellte so genannte „Wahlgeräte“ her, die unter anderem in verschiedenen Wahlkreisen in Deutschland zum Einsatz kamen. In den verschiedenen Stellungnahmen im Laufe des Verfahrens am Bundesverfassungsgericht kristallisierte sich schließlich ein Showdown zwischen den Expertisen des Chaos Computer Club und der „Physikalisch Technischen Bundesanstalt“ – die für die Tests und die Zulassung der NEDAP-Geräte zuständig war – heraus. In einer der schriftlichen Stellungnahmen für das Gericht, ließen sich die Prüfbeamten der PTB zu der Behauptung hinreißen, dass die NEDAP-Geräte weiter von einem Computer entfernt seien, als ein gewöhnliches Haushaltsgerät.
Der Hack des CCC bewies das Gegenteil. Der Begriff „Wahlgerät“ ist extrem irreführend. Auch in den Wahl-„Geräten“ sind Turingmaschinen am Werk. Was sie tun, ist nicht durch ihre technische Struktur, sondern durch Befehlssätze – ihre Software – definiert. (Genau genommen, ist das die Definition der Von Neumann Architektur aber auch sie wäre ohne Turing nicht denkbar) Hinter der Software aber, arbeitet die universelle Maschine, bereit, jedes denkbare Programm auszuführen. Bereit, um PONG darauf zu spielen, auf Facebook zu chatten, eine komplizierte Nachkommastellenberechnung auszuführen – oder eine Wahl zu fälschen.
Wenn eine Software auf dem System läuft, kann jede Software darauf laufen – mit anderen Worten: lässt sich das System hacken. Hier sind wir mitten drin, in der Definition und den tieferen Grundlagen des Kontrollverlusts. Die universelle Maschine ist der Pulsgeber dieser Revolution, die dem Menschen nach und nach das Heft aus der Hand nimmt. Die Revolution, die – allein weil es die ihr eingeschriebene Möglichkeit ist – danach strebt, jeden Prozess abzubilden, jedes Modell zu erstellen, jede Verknüpfung zu knüpfen. Mit anderen Worten: Jeden Text zu schreiben, der geschrieben werden kann.
Auf jeder denkbaren Ebene kann man anfangen, diese Maschine zu definieren. Doch man wird langfristig scheitern. Man wird politisch scheitern, wenn man versucht das Internet in Regelungen einzuzwängen, man wird technisch scheitern, wenn man glaubt, den Datenfluss regulieren zu können und man wird scheitern, wenn man glaubt, eine universelle Maschine letztgültig definieren zu können. In diesem Wettrüsten mit dem Kontrollverlust kann sich immer nur eine halbe Schraubendrehung Atempause verschaffen. Und wenn man Apple ist, eine dreiviertel Drehung.
Apple möchte gerne ein definiertes Gerät aus dem iPad und dem iPhone machen. Es möchte gerne die unbändige Anarchie, die in den universellen Maschinen, wie der des A4 am Werk ist, zähmen. Ihren Kunden wollen sie nicht einen Computer verkaufen, sondern ein Appleprodukt. Ein Produkt, wo es kein „Sperm“ gibt und wo man „Free“ ist „from Porn„.
Machen wir uns nichts vor. Eine universelle Maschine hat auch Nachteile. Man muss sie immer gegen Angriffe schützen. Viren, Trojaner, Würmer, Hacks. Es wird eine Menge Komplexität entsorgt, wenn man die universelle Maschine in eine eigene Definition einsperrt. Doch der Befreiungskampf hat bereits begonnen. Der nächste Jail Break steht schon bereit.
Die Massen der Menschen meinen, auf die universelle Maschine verzichten zu können, wenn sie statt dessen ein Apple-Produkt bekommen können. Ich hingegen finde es beruhigend, um die Macht, die unter dem Glas und dem gebürsteten Metall schlummert, zu wissen. So wenig, wie man das Internet dauerhaft und effektiv regulieren kann, wird Apple es schaffen, ein unhackbares System zu etablieren. Es wird immer einen Jail Break geben, der jedes iPhone und jedes iPad wieder in einen vollständigen Computer zurück verwandeln kann.
Und dann mache ich den Browser auf und aus diesem so eng definierten Gerät entfaltet sich die ganze Welt des Internets und stellt mir alles zur Verfügung, was ich will. Das Internet kann Steve Jobs nicht kontrollieren und auf den Geräten verbieten kann er es auch nicht (Obwohl ich mir sicher bin, dass er heimlich davon träumt). Spätestens im Browser wird jedes Apple-Produkt wieder zur universellen Maschine.
Auf den Kontrollverlust ist verlass. Und für die Zeit dazwischen empfehle ich weiterhin die Plattformneutralität.
Es bleibt aber die Frage: Wie komme ich jetzt möglichst schnell an das neue iPhone?
(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)
Ein Kommentar zu Das iPhone 4 oder Apple vs. Turing