Archiv der Kategorie: reloaded
Derrida und ChatGPT – Ein philosophischer Dialog über Sprache und Denken
Ich lese gerade viel zu LLMs und dem ganzen KI-Kram und ich bin hin- und hergerissen zwischen: „oh Gott ist das spannend, das wird alles ändern!“ und „ich will nur noch in Rente gehen!“ Je mehr ich mich mit der Funktionsweise der Sprachmodelle beschäftige, desto stärker fühle ich mich in die Zeit meiner Beschäftigung mit dem Poststrukturalismus, insbesondere mit Derrida, zurückgeworfen. Mir scheint, dass das „Denken“ der KI, gerade weil es nur statistische Auswertung von Texten ist, die Intertextualitätsthese des Poststrukturalismus gewissermaßen beweist. Während ich also so vor mich hinräsoniere, ob das wirklich der Fall sein kann, ist mir eingefallen, dass ich ja mal jemanden fragen kann, der sich damit auskennt: ChatGPT! Ich fand die Konversation angregend, obwohl man stellenweise merkt, wie erstens das Modell sehr affirmativ angelegt ist (es versucht im erstens Schritt mir immer recht zu geben), zweitens, dass die Reasoningfähigkeiten jedoch noch recht begrenzt und oberflächlich sind (zu einem Großteil versucht es nur meine Aussagen umzuformulieren) und drittens Guardrails (meine Vermutung) dafür sorgen, dass das Programm nicht allzu bolde Claims über seine eigenen Fähigkeiten macht (Bezüge auf eigene Denkfähigkeiten werden routiniert relativiert). Und doch ist unzweifelhaft zu erkennen, dass hier auch Verstehen passiert. Nachvollzug von Gedanken, Text- … Weiterlesen
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Das Internet nach dem Internet – Eine persönliche Anamnese
/** Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den ich im Rahmen einer Tagung an der Universität Köln gehalten habe und wird demnächst in einem zugehörigen Reader veröffentlicht. **/ Vor etwa 2,4 Milliarden Jahren brach eine einzigartige Naturkatastrophe über die Welt hinein. Eine neue Spezies, die Cyanobakterien, hatten sich im Kampf der Evolution durchgesetzt und machten sich daran, alle anderen Spezies mittels eines aggressiven Giftes auzulöschen. Ein Großteil der bis dahin lebenden Organismen fielen dem Massaker zum Opfer. Die Nachfahren dieser Massenmörderspezies nennen wir heute „Pflanzen“ und ihr tödliches Gift war der Sauerstoff. Das neue Gift atmete ich etwa Anfang der 90er. Ein Freund von mir wählte sich oft in das FidoNet ein. Eine Art Proto-Internet, was aber eigentlich nur ein System von Mailboxen beschrieb, bei dem man sich einwählen konnte und das automatisiert Daten austauschte. In diesem Netz konnte man bereits mit Unbekannten kommunizieren. Man lud Texte und Bilder herunter, diskutierte und schloss Freundschaften. Wenige Jahre später sah ich meine erste Website. Es war Spiegel Online. Ich zuckte mit den Schultern. Es gibt doch schon Zeitungen, dachte ich mir. Doch das Schulterzucken hielt nicht lang. Meine erste eigene Mailadresse holte ich mir im Web. 1997 bei GMX. Ich wollte mit … Weiterlesen
Ego: die eierlegende Wollmilchsau des Bösen
Dieses Blog gäbe es ohne Frank Schirrmacher nicht. Er schlug mir vor, für die FAZ zu bloggen. Ich dachte mir ein Konzept aus und legte los: der CTRL-Verlust war geboren. Der Rest ist Geschichte. Auf eine gewisse Art war der CTRL-Verlust auch immer eine kontinuierliche Antwort auf die Thesen in Schirrmachers Buch Payback. Antworten, die Schirrmachers Thesen nicht negierten, sondern umdeuteten – versuchten, das emanzipative Potential aus dem Kontrollverlust herauszuarbeiten. Payback war kein gutes Buch, aber zu seiner Zeit ein wichtiges (Hier meine damalige Rezension). Nun ist der Nachfolger erschienen, das nächste Schirrmacherbuch, der nächste Hype: „Ego – Das Spiel des Lebens„. In gewisser Weise knüpft Ego tatsächlich inhaltlich an den Vorgänger an. Immer noch geht es um die Algorithmen. Immer noch werden wir fremdbestimmt von den Maschinen, diesmal aber nicht mehr abstrakt, sondern konkret. Schirrmacher hat sich Algorithmen herausgepickt, die er für unsere derzeitige Situation verantwortlich macht: die Algorithmen, die auf der Spieltheorie aufbauen und vornehmlich in der Finanzwirtschaft zum automatisierten Handel verwendet werden. Und wenn er es dabei belassen hätte, dann hätte auch ein vernünftiges Buch bei herauskommen können. Aber Schirrmacher reichte das nicht.
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Carta: Der entfesselte Skandal: Das Buch zum Kontrollverlust
Vor knapp einem Jahr lud mich Bernhard Pörksen ein, an der Uni Tübingen einen Vortrag über den Kontrollverlust zu halten, was ich gerne annahm. Wir blieben seitdem über das Thema in Kontakt, denn Pörksen schrieb zu dieser Zeit zusammen mit seiner Mitarbeiterin Hanne Detel ein Buch über Skandale im Internetzeitalter. Während der Entstehungsphase gab es weiteren Austausch und Zusammenarbeit; so habe ich eine frühe Alphaversion des Buches lesen und kommentieren dürfen. Ich bin also befangen, was die Autoren und das Buch angeht, finde aber den Beitrag zu wichtig, als ich dass ich ihn unrezensiert lassen könnte. In gewissem Sinne ist „Der entfesselte Skandal – Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ nun das Kontrollverlustbuch. Jedenfalls ist es das erste Buch, das die Kontrollverlustthese in Buchform in die Debatte wirft. In einem anderen Sinn ist es das aber auch wieder nicht, denn einerseits haben Pörksen und Detel ihren Kontrollverlustbegriff anders definiert, als ich es tat (dazu gleich mehr), andererseits ist das Thema, mit dem sich das Buch auseinandersetzt – der Skandal – nur ein Ausschnitt dessen, was ich alles unter dem Begriff Kontrollverlust subsumiere. Aber genau diese Konzentration auf ein Kernthema tut dem Buch gut. Pörksen und Detel legen eine extrem … Weiterlesen
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Schufa, Facebook und die Plattformneutralität
Die Post-Privacydebatte. Ich hatte sie schon längst aus der allgemeinen Wahrnehmung gewähnt. Doch so, wie die Urheberrechtsdebatte alle Jahre wieder aufflammt, wird es wahrscheinlich auch mit der Post-Privacydebatte passieren. Wir haben es schließlich mit den selben Voraussetzungen zu tun: der technische Wandel zwingt uns dazu, gesellschaftliche Institutionen neu zu bewerten und solange das nicht geschehen ist, wird der Zombie auferstehen und uns heimsuchen, wieder und wieder und wieder. Frank Rieger hat nun anlässlich der Diskussion um die Nutzung von Facebookdaten durch die Schufa in der FAZ zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Debatte aufgerufen. Leider vergaß er, sie selbst zu führen. Stattdessen beließ er es dabei, einige gezielte Aufreger rund um die Aussage zu stricken, dass Postprivacy eine neoliberale Ideologie sei. Ohne mich auf die Debatte einlassen zu wollen, ob Postprivacy nun [politischer Kampfbegriff A] oder eher [politischer Kampfbegriff B] ist, will ich den Artikel zum Anlass nehmen, die Post-Privacy-Argumente noch mal anhand der Schufadebatte in Stellung zu bringen. Denn Argumente gibt es tatsächlich, auch wenn Frank Rieger sie mit keinem Wort erwähnt.
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Demokratisch in die Kontrollgesellschaft
Gestern war ich bei einem Treffen der OHU Öffentlichkeit und Privatheit des von Google betriebenen Collaboratorys. Das erste Thema, über das wir sprachen, war das aus der Initiative heraus entstandene Projekt der Offline-Tags. Die Idee ist denkbar einfach: Man klebt sich einen Button sichtbar auf die Kleidung und kann so für Mensch und Maschine sein Bedürfnis nach öffentlicher Privatsphäre ausdrücken, d.h. unter welchen Umständen man mit den allgegenwärtigen Fotokameras und ihrem Internetzugang konfrontiert werden möchte. Eines der Tags steht für „keine Fotos“, eines für „Bitte vorher fragen“, eines für „Fotos gerne, aber kein Personen-Tagging“. Ein einziges steht für „Fotografieren und Taggen: bitte gerne!“. Die Tags sollen auch maschinell ausgelesen werden; eine entsprechende App ist bereits in der Mache.
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FES: Das Partizipations-Transparenz-Dilemma
/***** Dieser Text ist im Rahmen des Arbeitsbereichs BerlinPolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen und ist eine Art Ergänzung zu dem Podium auf dem ich Gast sein durfte. Eine schön gesetzte PDF-Version zum Ausdrucken findet man hier. ******/ Neulich kam ich aus einem Restaurant. Ich hatte mit einem guten Freund gespeist und wir wollten noch weiter in eine Bar. Als ich zur Straße ging um ein Taxi zu rufen, hielt mich mein Freund zurück. Er zückte stattdessen sein Smartphone und startete dort ein Programm: eine Taxi-App. Nach anderthalb Minuten stand das Taxi vor uns. Das Internet funktioniert Ende zu Ende. Es verbindet jede Person mit jeder Person, direkt, ganz ohne Vermittler. Eine Taxizentrale braucht es nicht mehr, wenn man eine App hat. Die Positionsdaten des Smartphones werden zusammen mit den restlichen Daten den Taxis in der Nähe angezeigt und können sofort bedient werden.
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Was wäre echte Netzneutralität?
Wenn man sich in die Tiefen der Netzneutralitäts/Quality of Service Debatte einliest, merkt man schnell, dass das alles nicht so einfach ist. Schließlich ist die Topographie des Netzes nicht wirklich gleichmäßig und die Datenströme verteilen sich ebenso ungleichmäßig. Provider arbeiten schon lange daran, mithilfe von Priorisierungen und intelligentem Routing die Datenströme einigermaßen im Zaum zu halten. Egal wie man zur Netzneutralität steht, QoS gibt es und es ist notwendig und es ist auch wichtig für den Nutzer und es kann nicht darum gehen, dass den Providern verboten wird, ihren Traffic zu managen. Was Netzneutralität aber will, ist, dass jenseits von Maßnahmen zur Sicherung der Standards, Daten nicht nach ihrer Art oder Herkunft beliebig ausgebremst oder bevorzugt oder gar ganz aussortiert werden. Die Idee dahinter ist die einer neutralen Infrastruktur. Und das nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern vor allem aus politischen Beweggründen. Was wäre Meinungsfreiheit heute schließlich noch wert, wenn die Infrastrukturbetreiber oder Politiker heimlich darüber entscheiden können, welche Nachricht wie, ob und in welcher Qualität ankommt? In der Frage der Umsetzung jedoch scheiden sich die Geister. Wollen wir Netzneutralität staatlich garantieren, also eine Regulierung zur Nichtregulierung einführen? Oder sollten wir lieber ordnungspolitisch für einen vitalen Wettbewerb sorgen, und darauf hoffen, … Weiterlesen
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Queryology: Googles ehemaliges Geschäftsmodell
Oft ist es ja so, dass man erst versteht, was etwas wert war, wenn es weg ist. Mir geht das so mit Google. Klar, man hielt immer in eine gewisse kritischen Distanz zu diesem Riesen. Seine Macht und seine Reichweite und vor allem auch seine Unersetzlichkeit machten es einem schwer, das Unternehmen nicht unheimlich zu finden. Aber da gab es auch immer diese andere Komponente. Googles Erfolg kam nicht von ungefähr, er hatte gute Gründe. Google war das Unternehmen, das wie kein anderes das Web verstanden hatte. Auch wenn wir nicht mal wirklich verstanden, was genau sie verstanden hatten. Doch die Zeiten sind vorbei. Und weil sie vorbei sind, geben sie den Blick frei auf das, was fehlt. Die Lücke, die klafft hat einen Umriss und eine Ausdehnung und erlaubt so, sie zu vermessen und zu beschreiben. Was ich hier tun möchte. Was ist passiert? Seit Google G+ nicht nur eingeführt, sondern es als sein integralen, alles miteinander vernetzenden Dienst auserkoren hat, hat Google nicht nur eine ganze Menge Produkte und Dienste rausgeschmissen, sondern auch seinen zentralen Glaubenssatz. Der geht etwa folgendermaßen: Das Internet ist unser Freund. Wenn das Internet sich weiterentwickelt – egal in welche Richtung, egal durch wen … Weiterlesen
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Vortrag: Vergesst die Zukunft, der Zukunft zu liebe!
/********** Am 17. und 18. November fand ein Innovationsworkshop der Deutsche Digitalen Bibliothek statt. Das ist großes Projekt einer allgemeinen Dateninfrastruktur zur Zugänglichmachung aller möglichen Digitalisate – Bücher, Kunstwerke aller Art, archäologische Funde, etc. über das Internet. Außer mir waren fast nur Experten aus allen möglichen Sparten zugegen und es war wahnsinnig spannend so einen tiefen Einblick in das Projekt zu gewinnen. Ich selbst war eingeladen, um über die Queryology zu sprechen. Ich habe den Auftrag einfach mal so interpretiert, meine Ideologie des Zugänglichmachens – auch bekannt als Filtersouveränität – in den Kontext des Bibliothekswesens zu stellen. **********/ Vergesst die Zukunft, der Zukunft zu liebe! Die notwendige Gastfreundschaft des Archivs für die Möglichkeiten von morgen. Vielen Dank für die Einladung, vielen Dank auch für die einleitenden Worte. Ich bin ein eigentlich fachfremder Theoretiker, beschägtigte mich aber schon länger mit der Entwicklung von Wissenordnungen – vor allem in Zeiten des Internets. Ich möchte versuchen, ihr Vorhaben – die Deutsche Digitale Bibliothek – historisch einzuordnen und dabei die Richtung aufzeigen, in die ich glaube, dass die Aufgabe des Bibliothekars sich entwickeln könnte. Das Vorhaben der Deutschen Digitalen Bibliothek hat natürlich historische Vorbilder. Schon lange wird versucht, den einen Katalog des gesammelten Wissens … Weiterlesen
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