„Ich bin, der ich bin.“ (Gott)
„Ich lebe auf meinen eigenen Credit hin, […]“ (Nietzsche)
„Bezahlen sie doch mit Ihrem guten Namen.“ (American Express)
Wenn über Facebook geschimpft wird, dann meistens, weil Leute Angst um ihre Privatsphäre haben. Oder neuerdings, weil sie sich in einer selbsterschaffenen und von Facebook manipulierten Filterbubble gefangen wähnen. Selten aber wird Facebook für das kritisiert, weswegen es wirklich gefährlich ist: für das, was es gut macht.
Facebook hat anscheinend einiges gut gemacht, denn über 800 Millionen Leute weltweit vertrauen sich dem Dienst an. Facebook ist so groß wie das ganze Internet in 2004 war und es wächst ständig weiter. Durch diese extreme Durchdringung aller Gesellschaften werden neue Kommunikationsformen möglich. Demonstrationen – nicht nur in arabischen Staaten, werden hier organisiert. Kampagnen von NGOs orientieren sich schon lange an Facebook als Plattform. In den USA ist es bereits Standard, sich in der Facebookgruppe des Mietshauses zu registrieren, wenn man eine Wohnung bezieht. Das alles hat viele Vorteile, erhöht die Kommunikation in Gemeinschaften und senkt die Transaktionskosten zum gemeinsamen Handeln. Das alles ist gut, kaum einer will darauf verzichten, doch Facebook macht sich dadurch unersetzlich.
Facebook reicht nicht nur tief in die Offlinegemeinschaften herein, sondern breitet sich auch innerhalb des Restinternets aus. Der Like-Button ist da nur der Anfang. Was immer mehr umsich greift, ist die Möglichkeit sich mit seinem Facebookprofil bei anderen Diensten anzumelden. Sei es, um in einem Blog zu kommentieren, oder einen Dienst mit Facebook zu verschränken. Manche Dienste wie Spotify lassen sogar nur noch die Registrierung per Facebook-Connect zu.
Facebook hat damit schon längst geschafft, was die Staaten – darunter auch Deutschland – gerade erst verzweifelt herzustellen versuchen: verbindliche Identifikation im Internet. Der ePersonalausweis, den der deutsche Staat seinen Bürgern anbietet, ist jedenfalls ein Ladenhüter. Und auch in anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Die staatlichen Online-Identifikationsservices finden kaum eine Durchsetzung. Auf der anderen Seite hält Facebook immer öfter auch in behördlichen und offiziellen Gefilden Einzug. Der australische Supreme Court entschied bereits 2008, dass Gerichtspost auch per Facebookmessage als offiziell zugestellt gilt.
Facebook ist der zentrale Identitätsprovider im Internet und das ist politisch brisant. Das Bereitsstellen von Identität war lange eine hoheitliche Aufgabe von zentraler Bedeutung. Doch warum sollte ausgerechnet der Staat für die Identität eines Nutzers bürgen, wenn das Internet von vornherein international funktioniert? Es muss eine internationale Struktur sein, die Identität im Internet providet. Facebook hat also schon gewonnen, die Frage ist nur: wie allumfassend? Welche Machtfülle ergäbe sich aus der Tatsache, dass Facebook zur allgemein anerkannten Infrastruktur zur Gewährleistung von Identitätsintegrität wird?
Gewährte Identität
Das Kunstprojekt „FB Bureau“ spielt genau diese Variante durch. Wenn der Staat mit seiner Identitätspolitik im Internet scheitert, wird Facebook im Gegenzug vielleicht in der Kohlenstoffwelt auch seine Rolle einnehmen. Tobias Leingruber produziert Facebookausweise. Aus der Facebook-API lassen sich unter Eingabe der Account-URL alle nötigen Daten für einen Ausweis laden. Eine Laminiermaschine macht den Rest. Was passiert, wenn man das nächste mal einfach seinen Facebookausweis vorzeigt, wenn man gebeten wird, sich auszuweisen? Wer würde ihn vielleicht heute schon akzeptieren? Wie groß ist die Autorität von Facebook in der Offlinewelt?
Autorität ist der Schlüssel, denn es geht um Zeugenschaft. Zunächst war es die Kirche, die die Namen und Geburtsdaten ihrer Gemeindemitglieder verwaltete. Später übernahm der Staat diese Aufgabe und erst sehr spät übernahm er es für alle seine Bürger. Doch zunächst waren es nur die internen Listen, die gepflegt wurden.
Irgendwann gab es dann den Pass. Er ist das Dokument, das beglaubigt, dass der Staat mich in seinen Listen erfasst hat. Im Ausland bin ich eben nicht registriert, aber das Land, aus dem ich komme, gibt mir eine portable Beglaubigung, die an seine eigenen Register zurückverweist. Der Pass funktioniert wie Facebook-Connect. Ich akzeptiere den Zugriff auf mein Facebookprofil, wie einen Stempel in meinem Pass. Facebook verbürgt dafür die Integrität meiner Identität gegenüber dem Drittanbieter, so wie der deutsche Staat, wenn ich seine Grenzen überschreite.
Der Staat macht uns durch die Verwaltung unserer Identität in seinen Registern zu „Bürgern“. Was macht Facebook aus uns? Wird Facebook sein Identitätsregime führen wie einen Staat? Der drittgrößte Staat der Welt? Welche Rechte haben wir Facebook gegenüber, wenn wir uns über es ausweisen? Was passiert, wenn uns Facebook unsere Identität entzieht? Haben wir überhaupt ein Recht auf Identität?
Es mag sich gespenstisch anhören, dass eine private, kommerzielle Struktur wie Facebook so wichtige hoheitliche Aufgaben wahrnimmt. Fakt ist aber, dass wir Facebook freiwillig diese Aufgabe überantworten. Nicht, weil wir die Gefahren nicht sehen würden, sondern weil wir keine andere Wahl haben. Facebook ist die beste Infrastruktur für diese Aufgabe zur Zeit und die Aufgabe ist wichtig. Und so lange das der Fall ist, profitieren wir viel zu sehr davon, dass Facebook uns Registrierungsprozeduren abnimmt und Tools an die Hand gibt, mit denen wir unsere Identität managen können. Facebook entwickelt sich zu einem Standard und wie jeder Standard schafft er erstmal Erleichterung. Diese Erleichterung bezahlen wir allerdings mit dem Datenmonopol, das wir Facebook dafür zugestehen. Wir entkommen dem einen Paternalismus und tappen in die Falle des anderen. Vater Facebook ist nach Vater Staat der neue Ausdruck unserer eigenen identitären Unmündigkeit.
Biometrie und Queryology
In seinem Vortrag „What is in a Name“ arbeitet Christoph Engemann die Geschichte des Identitätsproviding der letzten 500 Jahre ab. Neben vielen interessanten Details, ist mir vor allem das Aufkommen der „Erkennungsdienstlichen Erfassung“ im Paris des 19. Jahrhunderts in Erinnerung geblieben. Denn hier ereignet sich eine entscheidende Entwicklung, die bis heute noch nicht zu ihrem Ende gekommen ist: das Aufkommen biometrischer Verfahren.
Die Polizei vermisst und verdatet Leute zur erkennungsdienstlichen Erfassung. Körpergröße, Armlänge, Augenfarbe, etc. werden auf einer Karteikarte aufgeschrieben und im polizeilichen Register aufgehoben. Interessant ist hierbei nun aber das Konzept der Abfrage. Wie überprüft man, ob man jemanden schon in der Kartei vermerkt hat, ohne seinen Namen zu kennen? Das Geheimnis liegt in der Notation und Ordnung der Karteikarten. Körpergröße, Spannweite der Arme und Augenfarbe werden in einem Stück hintereinander Wegegeschrieben und ergeben zusammen eine unverwechselbare Zeichenkette. Nach dieser Zeichenkette werden die Karteikarten alphanummerisch sortiert. Wenn ein Subjekt also ein zweites Mal Erkennungdienstlich behandelt wird, misst man es aus, schreibt die Daten hintereinander weg und hat damit eine sehr konkrete Query, die man an das Register richten kann. Sofort hat man die richtige Karte in der Hand.
Fingerprinting – also das aggregieren von Informationskonfigurationen zu einem wiedererkennbaren Muster – verallgemeinert die Methode der Biometrie. Man kann schließlich alles mögliche fingerprinten: meinen Schreibstil, meine Sitzhaltung, meine Einkaufsgewohnheiten, meinen Musikgeschmack. Alle wiedererkennbaren Muster können einen Fingerprint ergeben, der sich in einer Masse an Daten wiederfinden lässt, wie die Karteikarte im Register der pariser Polizei.
Unter anderem kann man den Social Graph, also das Netzwerk an Kontakten fingerprinten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann man so zum Beispiel Facebook zu Twitteraccounts zuordnen, denn wer einer Konfiguration aus bestimmten Leuten auf Twitter followt, hat eine zumindest sehr ähnliche Konfiguration auch in seinem Social Graph bei Facebook.
Solcherlei Verknüpfungen schaffen oft unverhoffte Transparenz („huch! Mein pseudonymer Twitteraccount ist enttarnt!“) und ich habe solche disruptiven Technologien nicht umsonst mit dem Label „Kontrollverlust“ versehen. Doch hat man den Kontrollverlust erstmal für sich akzeptiert, kann man hier schön sehen, wie sich emanzipatorische Potentiale freilegen lassen.
Fingerprinting und Emanzipation
Biometrie wird gemeinhin als das Böse schlechthin betrachtet. Das liegt vor allem daran, dass die Verfahren der Erfassung und Verdatung immer in der Hand der machtvollen Institutionen – vor allem dem Staat – lagerten. Eine solche Sichtweise verdeckt aber die Tatsache, dass sich in der Biometrie – wie überhaupt in den Methoden des Fingerprinting – auch eine Menge emanzipatives Potential verbirgt. Fingerprinting braucht keine monopolistische Zwischeninstanz, die Identität beglaubigt. Stattdessen ist es der eigene Körper, der eigene Social Graph, das eigene Sosein, das sich selbst verbürgt und ausweist.
Und genau hier liegt das Potential zur Durchbrechung des Identitätsmonopols von Facebook. Biometrische oder soizale Fingerprints werden es in Zukunft schaffen, uns plattformübergreifend zu identifizieren. Durch Biometrie und andere Fingerprinting-Methoden wird Identität – online wie offline – portierbar und emanzipiert sich von den Registern, egal ob denen in den Behörden oder der kalifornischen Datenbanken.
Das ist der Ausweg. Die Queryology macht mich frei von den Institutionen. Die frei verfügbaren Daten über mich machen mich unabhängig von den Beglaubigungen Dritter. Ich bin ich, im Spiegel deiner Query. Je komplexer und umfangreicher die Daten sind, die über mich im Umlauf sind, desto höher die Integrität meiner Identität. Der Staat ist dann nur noch was für Datensparsame.
(Das Kunstprojekt FB Bureau ist am Freitag, den 2. März 19:00 Uhr im Supermarkt Berlin (Brunnenstraße) zu sehen. Ja, das ist Werbung, ich kenne den Künstler.)
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