Nun ist es also da, das lang ersehnte und mit Erwartungen und Aufmerksamkeit überschüttete Studentenprojekt Diaspora, das angetreten ist, die Alternative zu Facebook zu sein.
Man muss allerdings nicht Marcel Weiß sein, um dem heren Ziel des Projektes nicht einen Deut Chance einzuräumen. Dabei ist das alles gar nicht mal schlecht, was sie abgeliefert haben. Es sieht schick und übersichtlich aus, lässt sich auch nett bedienen. (wer mich adden will: mspro@joindiaspora.com) Aber hey, der Markt für Social Networks ist nun mal sowas von dicht und die Lockineffekte und auch der Technologievorsprung von Facebook sind kaum einzuholen.
Es sei denn man bietet etwas völlig Neuartiges an. Das tut Diaspora allerdings nicht. Neben der Möglichkeit des Betriebs von eigenen Installationen und der Tatsache, dass das ganze Opensource ist, hat es nur eine Neuerung zu bieten: die „Aspekte„.
Aspekte sind so etwas wie Gruppen oder Listen. Man kann seine Kontakte dort reinschubsen und dann mit den einen so und den anderen so kommunizieren. Also etwa so, wie man es im Reallive macht, dass man eben eine andere Rolle spielt gegenüber dem Kegelverein, als gegenüber der Familie, als den Freunden, als den Arbeitskollegen, etc. Die Aspekte trennen also die Sozialsphären voneinander, so dass man sie mit einer unterschiedlichen Kommunikationspolitik bespielen kann.
Man baut sich also diese Mauern zwischen den Leuten, zieht Grenzen: jedes mal die Frage, wie sehr kenne ich den? In welche Gruppe tue ich ihn? Und wenn man den Kollegen besser kennenlernt, dann tu ich ihn in Gruppe Freunde rüber. Und den Typen aus dem Kegelverein, den ich gar nicht leiden kann?
Und so verwaltet man das alles so vor sich hin und verliert völlig die Übersicht, welche Information man jetzt mit welcher Gruppe geteilt hatte und auf welchem Informationsstand x jetzt ist, oder ob man ihn vorher oder nachher in die Gruppe geholt hatte und ob die Information Z nicht für die Gruppen A und B, naja B nicht ganz, aber auf keinen Fall C und … Herrje!
Wer will denn das? Die User? Seriously? Ich bin bekanntlich kein Freund von Facebook, aber ich bin sicher, dass Zuckerberg so ein Feature eingeführt hätte, wenn die Leute es so wollen. Und ich bin mir sicher, dass sie es nicht wollen.
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Was ich noch etwas verstanden hätte, wäre, wenn man die Gruppen zur Newsfilterung nutzt, ähnlich wie die Twitterlisten (die aber auch nicht sonderlich erfolgreich sind). Dass man die Stati bestimmter Gruppen z.B. aus seiner Timeline abschalten kann. Oder die einer anderen bevorzugen. Wobei auch das eine nur so mäßig effektive Filtermethode ist.
Denn darum geht es nämlich. Jetzt und in Zukunft immer mehr: Filterung.
Nicht die Kontrolle über die ausströmende, sondern die Bändigung der einströmenden Information ist das Problem der Zukunft. Das haben die Diasporamacher nicht verstanden. Das verstehen die meisten immer noch nicht. Und sie verstehen es nicht, weil nach wie vor die falschen Metaphern unterwegs sind. Weil die Metaphern aus der realen eine so achso bequeme Brücke bauen in die digitale Welt, aber letztendlich die Sicht auf die tatsächliche Funktionalität versperren. Kristian Köhntopp hat das letztens schön formuliert:
Aktuell scheitert Miriam Meckel an Facebook, und versteigt sich bei den Freunden von Jeff Jarvis über Dunbar und Montaigne zu Aristoteles. Die falsche Richtung. Guck nach vorne Miriam: Was macht ein ‚+1′ oder ein Like-Button genau?
Genau, er abonniert ein Statusabo – ich bekomme einen Kanal mehr, den Facebook auf meinem Wall aggregiert und unter die Meldungen meiner anderen Abos mischt. Er macht also genau das, was ein RSS ’subscribe‘ macht, und könnte genau so gut auch ’subscribe‘ heißen. Anders als ein RSS Abo ist Facebook aber symmetrisch: Ich abonniere Deine Statusupdates und Du bekommst dafür meine.
Ja, es geht bei der Facebook-„Freundschaft“ dem „Like“ und so weiter um Filterung, Aggregation und Abonnements. Das heißt um die Konfiguration einer Query! Und letztendlich nur darum.
Das „oh, guck mal, da sind wir jetzt befreundet„-Erlebnis hält nur einen Moment. Der Sammeltrieb nach Bekannten ist irgendwann gestillt. Und dann? Will ein Social Network dann noch einen weiteren Mehrwert bieten, muss es als Kommunikationsplattform und da vor allem als persönlicher Newsaggregator nütztlich sein. Das funktioniert bei Facebook und anderen Social Networks, nun ja, leidlich.
Gerade hierfür hat sich Twitter und das asynchrone Followen sich als ungleich mächtiger erwiesen. Natürlich ist das Konzept erstmal Kontraintuitiv und nicht so gefällig wie eine „Freundschaft„. Und wer schon mal versucht hat, Twitter zu erklären, weiß was ich meine.
Aber auf lange Frist, wenn die irreführenden Metaphern verblassen und die Menschen anfangen, tatsächlich ihren Nutzen aus den Netzwerken ziehen zu wollen, wird Twitter gewinnen.
Deswegen habe ich gestern mit Marcel Weiß eine Wette abgeschlossen: In zwei Jahren – also im November 2012 – wird Twitter mindestens genau so groß sein, wie Facebook, in Sachen Nutzeranzahlen. Etwas kühn, ich weiß, ich hab mich da hinreißen lassen. Aber wenn ich recht habe und sich herausstellt, dass es sich Zukunft alles nur um Filterung dreht, dann wird sich Twitter einfach als das brauchbarere Tool durchsetzen.
Aber gut, haben auch nur um 50 Euro gewettet.
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